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Foto: EPA/Jacek Bednarczyk
Die erste Hälfte des Börsenjahres 2004 kann abgehakt werden. Die Unsicherheit ist trotz ermutigender wirtschaftlicher Erholungssignale aus Fernost und den Vereinigten Staaten nach wie vor groß, und die Skepsis gegenüber Aktien der für das Kursbild maßgeblichen institutionellen Investoren hat sich im Juni noch verstärkt.

Das bestätigt u.a. auch der Blick auf den Investor Confidence Index des US-Finanzhauses State Street, der das Anlageverhalten Tausender Institutioneller (Pensionskassen, Versicherungen u.a.) rund um den Erdball misst, oder eine jüngste Studie der EZB (Europäischen Zentralbank).

Finanzinstitution State Street

Über den Finanzdienstleister State Street laufen 15 Prozent des globalen Handelsvolumens. Der Investor Confidence Index beruht auf Informationen zu Anlagevolumen und -strukturen sowie zum Kapitalfluss. Im Gegensatz zu anderen Vertrauensindizes, die auf Befragungen basieren, misst State Street die effektive Risikotoleranz der Anleger.

Erhoben wird, in welche Risikokategorien wie viele Mittel fliessen. Vereinfacht dargestellt: Die Risikotoleranz eines Aktieninvestors ist höher als die eines Anlegers in festverzinslichen Werten. Seit Ende des vergangenen Jahres nimmt die Risikotoleranz der Tausende von durch State Street erfassten institutionellen Anlegern ab – dazu gehören übrigens auch 70 Prozent der Zentralbanken.

Der seit Herbst 2003 veröffentlichte Index wurde bis 1998 zurückgerechnet, und das lancierte Barometer des Investorenverhaltens kennt seit Dezember 2003 nur eine Richtung – jene nach unten!

Zuletzt fiel der monatlich erhobene Vertrauensindex im Mai markant auf 85,5 Punkte. Bevor der Investor Confidence Index nicht wieder zulegt, d.h. Institutionelle mehr Mittel in Aktien anlegen, als sie aus dieser Kategorie abziehen, gibt es im Grunde wenig Hoffnung auf eine Börsenerholung.

EZB

Die Aktieninvestoren im Visier haben auch Michael Ehrmann und Marcel Fratzscher in ihrer eben veröffentlichten Studie über die Reaktion des US-Aktienmarkts auf Zinserhöhungen.

Die beiden in der Europäischen Zentralbank (EZB) tätigen Ökonomen, die vor zwei Jahren für die EZB ein Modell entwickelt haben, um den Verlauf der Markterwartung vor und nach Zinsentscheiden zu messen, analysieren diesmal die Reaktion der Börse auf 79 Fed-Sitzungen von 1994 bis 2003.

Sie kommen, wenig überraschend, zu dem Ergebnis, dass sich Aktien und Zinserhöhungen nicht vertragen. Eine Straffung des Leitzinses um einen Prozentpunkt drückte die Kurse der im S&P 500 zusammengefassten Titel im Durchschnitt 5,5 Prozent nach unten.

Das EZB-Arbeitspapier bestätigt dabei die Ergebnisse einer schon zuvor im Jahr 2003 veröffentlichten Analyse. Diese kam zum Schluss, dass Energieunternehmen und Versorger geldpolitische Richtungswechsel am besten überstehen, High-tech- und Telekommunikationsunternehmen hingegen überdurchschnittlich betroffen seien.

Die EZB-Studie weist auch nach, welche finanziellen Merkmale Aktienunternehmen widerstandsfähiger gegen die Zinswende machen: ein hoher Cash-flow, ein gutes Bonitätsrating und ein tiefes Kurs-Gewinn-Verhältnis. Nicht von ungefähr waren in den letzten Wochen schon umfangreiche Umschichtungen an den internationalen Finanzplätzen vor allem zu Energiewerten zu bemerken.

Zinswende wirft Schatten

An den Terminmärkten wird jedoch bereits heute eskomptiert, dass die amerikanische Notenbank Fed in der kommenden Woche – 30. Juni – den Leitzins von 1 auf 1,25 Prozent und nach der Sommerpause auf 1,5 Prozent erhöhen wird. Führende Investmentbanken haben in diesen Tagen ihre Prognosen teilweise markant nach oben geändert.

Morgan Stanley erwartet nun eine Zinserhöhung des Fed auf 1,75 Prozent – bisher 1,25 Prozent – bis Ende Jahr. Und das renommierte Finanzhaus Goldman-Sachs, der sich mit seiner Vorhersage "keine Zinserhöhung vor Mitte 2005" am weitesten aus dem Fenster gelehnt hatte, geht inzwischen von einem Anstieg auf 2 Prozent aus.

Fazit: Die Zinserhöhungen und sonstigen Bremsmanöver werden sich erst verzögert auswirken. Genauso wie die markanten Senkungen ab 2001 zwei Jahre benötigten, bis sie die Realwirtschaft stimulierten, werden auch höhere Sätze nicht sofort Folgen haben.

Zudem werden die Notenbanken nur sanft am Rad drehen, denn niemand will Unternehmer, Konsumenten und Investoren unnötig belasten. Schließlich schuf die Tiefzinsphase neue Ungleichgewichte und Spekulationsblasen – ob am Immobilienmarkt oder im Zins- und Devisenhandel.

Die Rückkehr zu "normalen" Zinsen, die das Wirtschaftswachstum weder bremsen noch anheizen, darf aus Rücksicht auf diese Fehlentwicklungen nicht abrupt stattfinden. Sie muss angemessen und voraussehbar ablaufen. Die Frage stellt sich indes, wie wirksam die sanfte Zinspolitik in Bezug auf das Ziel sein wird, künftige Inflation zu vermeiden.

Vorerst gilt unverändert, dass sich das enorme Konjunkturtempo in Amerika und China nicht rasch drosseln lässt. Von daher sind auch nächstes Jahr für Europa Impulse, deutliche Bremsspuren erst in der zweiten Hälfte 2005 oder gar erst 2006 zu erwarten – so gesehen keineswegs ungünstige Voraussetzungen für die europäischen Finanzmärkte!