Die grün-rote ÖH feiert Jahrestag und auch der ÖH-Vorsitz wechselt Farbe: Patrice Fuchs vom VSStÖ (links) überließ den ersten Vorsitz an Barbara Wittinger von der GRAS, bleibt aber stellvertretende Vorsitzende. Ändern soll das ihrer Ansicht nach nichts: Sie würden nur "nach Außen treten", ohne das Team dahinter wäre das aber nicht möglich.

Foto: derStandard.at/Fercher
Seit einem Jahr "regiert" Grün-Rot in der Bundesvertretung der Österreichischen HochschülerInnenschft. Die beiden ÖH-Vorsitzenden Patrice Fuchs (VSStÖ) und Barbara Wittinger (GRAS) ziehen im Gespräch mit derStandard.at Bilanz. Von Ministerin Elisabeth Gehrer sind sie - nach wie vor - enttäuscht: Nach anfänglicher Begeisterung über so manches von der ÖH vorgelegte Konzept seien keine Taten gefolgt. Tortenwerfen als Mittel des Protests ist für sie "Geschmackssache". Mit den beiden Studierendenpolitikerinnen sprach Sonja Fercher.

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derStandard.at: Warum geht zu den ÖH-Wahlen "keine Sau" hin? Macht die ÖH zu wenig für die Studierenden, so dass diese den Nutzen der ÖH nicht sehen?

Patrice Fuchs: Demnach sind 70 Prozent der Studierenden Säue? Nein. 30 Prozent Beteiligung ist für ÖH-Wahlen eigentlich sehr gut. In Deutschland zum Beispiel gehen nur drei bis vier Prozent, manchmal sogar weniger zu den Wahlen der dortigen Studierendenvertretung. Wir sind da sogar VorreiterInnen, europaweit haben wir sicher eine der besten Wahlquoten.

Es gibt ganz viele verschiedene Gründe, warum wir keine so hohe Wahlbeteiligung wie bei den Nationalratswahlen haben. Wir wählen schon einmal viel öfter. Außerdem ist es natürlich ein großer Unterschied, ob man den tatsächlichen Gesetzesgeber wählt oder die ÖH.

Barbara Wittinger: Ich glaube, dass die Bindung an die ÖH besser wird. Man sieht das auch an den Ergebnissen der SORA-Studie (über das Image der ÖH, Anm.): Die Gesamtzufriedenheit steigt und ein Großteil der Leute erachtet die ÖH als sinnvoll. Das lässt uns hoffen, dass die Wahlbeteiligung noch ansteigt.

derStandard.at: Apropos Umfrage: Die Aktionsgemeinschaft (AG) wirft der grün-roten ÖH vor, dass sie sich zu sehr für gesellschaftspolitische Angelegenheiten einsetzt und zu wenig für die Belange der Studierenden. Sie hat das mit einer Umfrage zu belegen versucht, in der drei Viertel der Befragten angaben, dass sie sich nicht mit der ÖH identifizieren. Was sagt Ihr zu diesem Vorwurf?

Patrice Fuchs: Ich möchte vorab gleich mal feststellen, dass diese Umfrage keine Umfrage ist, sondern ein Marketinggag, billigst ausgeführt. Ich möchte nur kurz Florian Liehr (AG-Obmann, Anm.) zitieren, der die Behauptung, oder besser Beschimpfung aufgestellt hat, die ÖH mache zu viel. Wenn das der Kritikpunkt ist, bin ich sehr zufrieden.

Außerdem kann jedes universitäre Thema, wenn man es umfassender sieht, zu einem universellen Thema werden. Allein zum Beispiel Frauenpolitik: Wenn etwa neue Gremien entstehen und dort keine Frauenquote hineinreklamiert wird - und das müssen wir als ÖH machen - sitzen da hundert Prozent Männer drinnen. Das ist einfach so.

Barbara Wittinger: Für mich es ganz klar, dass das kein Widerspruch ist. Uns ist auf keinen Fall vorzuwerfen, dass wir weniger oder zu wenig Service machen. Es hat zum Beispiel noch nie so viele kompetente Broschüren gegeben wie in unserer Exekutive - und wie von der vergangenen rot-grünen Exekutive schon produziert wurden. Unser Schwerpunkt liegt genauso im Servicebereich als auch im gesellschaftlichen Bereich.

derStandard.at: In den Medien war die ÖH im vergangenen Jahr vor allem mit ihren Protesten gegen die Einschränkung der studentischen Mitbestimmung. Sicherlich ein wichtiges Thema für die ÖH, doch ist das wirklich das, was die Studierenden am meisten bewegt?

Barbara Wittinger: Da kann ich nur wieder auf die SORA-Umfrage verweisen: Hier zeigt sich ganz klar, dass die Studierenden sehr wohl an organisierten Protestmaßnahmen interessiert sind, dass sie sehr wohl für ihre Rechte kämpfen wollen. Die ÖH nimmt da eine unterstützende Position ein, aber es kann nur gemeinsam mit den Studierenden gehen und die Studierenden sind auch gewillt dazu, das zu machen. In welcher Form das passiert, obliegt den Studierenden.

derStandard.at: Ist Aktionismus wie z.B. Tortenwerfen oder die Audi Max-Besetzung wirklich eine zielführende Form des Protests?

Barbara Wittinger: Es kommt immer darauf an, welche aktionistischen Mittel man wann einsetzt. Ich will per se nicht ausschließen, dass das eine oder das andere verwendet wird. Ich halte es für wichtig, eine Strategie dahinter zu haben. Wir als ÖH sitzen an der Informationsquelle und können hier eine Strategie aufbauen. Welche Mittel dann auch immer eingesetzt werden.

Die Studierenden sind total empört, was hier passiert, und es ist vollkommen klar, dass eben manchmal auch zu radikaleren Mitteln gegriffen wird.

Patrice Fuchs: Wir können den Studierenden nichts vorschreiben. Welches aktionistische Mittel ergriffen wird, ist natürlich zum Teil auch Geschmackssache. Nichts desto trotz haben die Besetzungen und die Proteste zur Jahreswende sehr wohl auch etwas gebracht.

derStandard.at: Was wurde denn konkret erreicht?

Patrice Fuchs: Bei den Organisationsplänen sind gewisse Forderungen eingearbeitet worden. Studierende sitzen weiterhin verstärkt in den Gremien drinnen. Der große Nachteil ist halt, dass wir keine Beschlusskompetenz haben, sondern darauf reduziert wurden, mitreden zu dürfen. Das soll aber auch nicht unterbewertet werden. Wenn es ein Gremium gibt, das gewisse Themen behandeln muss, wo man auch Meinungsbildung machen kann, gibt es die Möglichkeit, dass das dann auch Früchte trägt.

derStandard.at: Wie ist Euer Verhältnis zu Bildungsministerin Gehrer? Wie gibt sie sich in den Verhandlungen?

Patrice Fuchs: Leider haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie oft schnell Zusagen macht, aber ab einem gewissen Punkt war dann überhaupt nichts mehr von den Projekten zu hören. Diese Partizipationsillusion ist im Ministerbüro gut bekannt und wird gut gehandhabt. So gesehen bin ich enttäuscht – noch über die allgemeine Enttäuschung hinaus.

Barbara Wittinger: Ein gutes Beispiel dafür sind die Gespräche, die es im Zuge der MaturantInnenberatung gegeben hat. Da hat die ÖH kompetente Konzepte vorgelegt, die Ministerin war anfangs sehr begeistert, doch das wars dann auch.

derStandard.at: Ihr habt Euch den Kampf gegen Studiengebühren auf die Fahnen geschrieben. Warum bringt Ihr sie eigentlich nicht weg?

Patrice Fuchs: Ich fürchte, dass die einzige Möglichkeit sie auch tatsächlich wegzubringen ein Regierungswechsel ist, wo andere Ideologien vertreten werden und wo es ein soziales Gewissen gibt. Eine Regierung, die das Problem ernst nimmt, dass Studiengebühren tatsächlich Menschen vom Studium ausschließen. Das ist zur Zeit nicht der Fall.

derStandard.at: Ihr habt gleich nach der Wahl ein neues Konzept zur sozialen Absicherung von Studierenden angekündigt. Was ist daraus geworden?

Patrice Fuchs: Das ist das Bildungsförderungsmodell der ÖH. Das sieht eine Art Grundsicherung vor, höher als die Familienbeihilfe, die direkt an die Studierenden und nicht an die Eltern ausbezahlt wird. Im Gegenzug sollte die Familienbeihilfe für minderjährige Kinder nur noch bedarfsgerecht ausbezahlt werden. Zur Zeit ist es ja so, dass alle Kinder gleich viel Familienbeihilfe bekommen, egal wie reich die Familie ist. Das Geld, das man dort einspart, könnte man dem selbständigen Erwachsenen auf den Studienweg mitgeben. Wir haben das Modell auch im Parlament präsentiert und werden die Lobbyingarbeit im Herbst fortsetzen.

derStandard.at: Als "Nummer 1 auf der To Do-Liste" habt Ihr damals auch das passive Wahlrecht für ausländische Studierende gesetzt. Können sie bei der nächsten Wahl nun schon kandidieren?

Barbara Wittinger: Da haben wir eine Arbeitsgruppe dazu eingesetzt, die aus allen Fraktionen besteht und wo sich alle Fraktionen dafür einsetzen - bis auf den RFS natürlich, von dem ist das aber auch nicht zu erwarten. Konkret wird dieses Thema im kommenden Jahr aufs Tapet kommen.

Patrice Fuchs: Es ist ja unsere Interessenvertretung, alle zahlen da ein und jeder soll auch wählen und gewählt werden können. Wir können doch bitte selbst bestimmen, ob wir wollen, dass auch AusländerInnen kandidieren können.

derStandard.at: Abgesehen von der ÖH-Wahl: Welche Projekte liegen denn an? Wie wollt Ihr Eure potenziellen WählerInnen erreichen?

Barbara Wittinger: Da gibt es zum Einen die ÖH-Card, die an alle Studierenden gehen soll und voraussichtlich ab Wintersemester kommt. Zum anderen ist unsere Intention, immer mehr übers Internet zu gehen. Da gibt es zum Beispiel die FAQ-Datenbank oder das Free-Knowledge Forum. Das Internet wird immer mehr zum Mittelpunkt und es ist auch für uns leichter, die Studierenden zu erreichen und sie zum Wählen zu motivieren.

Patrice Fuchs: Man muss sich immer wieder alternative Wege suchen, wie man Kontakt zu den Studierenden herstellen kann. Die übliche Plakataktion ist auch wichtig, aber natürlich nur ein traditioneller Weg, nicht der einzige.