Wollten wir den Verlautbarungen der neoliberalen Nomenklatura in ÖVP, IV und IG-Metall Glauben schenken, so hätten wir allen Grund zum Zweifel an der Logik. Beschäftigung sei nämlich durch eine Verlängerung der Arbeitszeit zu sichern - bei gleichem Lohn, versteht sich.
"Die Vereinbarung zeigt, dass wir bei entsprechendem Willen alle Chancen haben, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen", meint etwa CSU-Chef Stoiber.
Was deutsche Gewerkschaften verschämt als "Einzellösung" bezeichnen, ist in Wahrheit der Eintritt in eine neue Phase destruktiven Standortwettlaufs. Dem deutschen Riss in der kollektiven Regelung der Arbeitszeit wird ein veritabler Dammbruch folgen.
Wo bleibt der Klassenkampf
Prinzipiell zahlt niemand gern. Am allerwenigsten möchten Unternehmen die Ware Arbeitskraft bezahlen, die sie ja überhaupt nur kaufen, um daraus Profit zu ziehen. Die Konkurrenz zwingt sie um jeden Preis zu dessen Maximierung.
Insofern sind die neoliberalen Vorstöße nicht verwunderlich, sprechen sie doch dem Kapital nur aus der Seele. Warum aber stimmt gerade die Gewerkschaft ein in diesen Ruf? Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Arbeit ist nicht der Gegensatz, sondern bloße Kehrseite des Kapitals.
Beide teilen das Interesse an wirtschaftlichem Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zur Sicherung des Gelderwerbs. Ist es in Gefahr, ziehen sie schon aus reinem Egoismus am selben Strang.
Auslaufmodell Ford
Es war der amerikanische Automobilfabrikant und arbeitsfanatische Hitlerverehrer Ford, der in der Zwischenkriegszeit den Kerngedanken der Vollbeschäftigungspolitik vorwegnahm.
Um den Warenabsatz zu sichern, bezahlte er höhere Löhne und bot mehr Freizeit für Konsum. Sein liberaler Zeitgenosse Keynes, der - wenig bekannt, aber durchaus nicht zufällig - selbst im NS-Staat ein geeignetes Vehikel staatlicher Investitionslenkung zur Beschäftigungssicherung sah, lieferte dazu die Theorie.
So gut das Tandem "Ford und Keynes" - durch Überschreitung der ökologischen Wachstumsgrenzen und Ausbeutung der Dritten Welt - nach dem Zweiten Weltkrieg auch funktionierte, so überholt ist es heute.
Denn die Basis moderater Lohnsteigerung und Arbeitszeitverkürzung war die immense Steigerung von Produktivität und Profit durch den Einsatz von Fließband und "wissenschaftlicher Betriebsführung".
Zu Beginn der Siebziger aber sank der Profit in den industriellen Kernbereichen, auch zeigten die Binnenmärkte Sättigung - das Fordsche Wachstumsmodell geriet in Schwierigkeiten. Endgültig gab ihm die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik den Todesstoß. Heute wird die Rationalisierung von Arbeitskraft nicht mehr durch Wirtschaftswachstum aufgefangen.
Die Krise der Arbeitsgesellschaft
Weil das alte Modell letztlich an seinem eigenen "Erfolg", an der Stagnation von Produktivitätszuwachs und Sättigung von Märkten, gescheitert ist, kann es keine Rückkehr dazu geben. Das sehen die Neoliberalen in gewisser Weise richtig. Falsch ist der Schluss, den sie daraus ziehen.
Die unbezahlte Arbeitszeit zu verlängern, führt in Wahrheit weiter in die Krise. Die Gewinnsteigerungen werden nicht wesentlich neue Investitionen auslösen, sondern auf die Finanzmärkte fließen.
Die Arbeitslosigkeit wird sich weiter erhöhen, weil weniger Menschen die vorhandene Arbeit machen werden, Investitionen in die Warenproduktion vergleichsweise wenig rentabel sind und die Binnennachfrage nachlassen wird; und Siemens verlagert seine Produktion nach zwei Jahren womöglich erst recht.
Die politischen Spielräume werden enger, weil deren ökonomische Grundlage zerbröselt. Wir stehen daher immer mehr vor der Wahl zwischen bedingungsloser Standortkonkurrenz oder einem Bruch mit der Logik des Profits.
Eine Mindestanforderung für jede ernst zu nehmende Alternative aber ist die kompromisslose Verteidigung der bestehenden Arbeitszeitregelungen und - darüber hinaus - die fortschreitende Arbeitszeitverkürzung mit steigender Produktivität.
Nachlese