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Foto: Archiv
Fünfmal am Tag ruft der Muezzin, dreimal am Tag patrouillieren die Militärhubschrauber, jede Nacht kriechen Meeresschildkröten (Caretta caretta) auf den Strand, graben ihre Eier ein und haben Dalyan mit seiner Traumbucht vor den ärgsten Tourismus-schrecken bewahrt.

1988 sollte der vorgelagerte Iztuku-Strand in jenen Einheitsbrei verwandelt werden – brutalste Hotelklötze und wie Tumore wuchernde Siedlungen –, der sich ohne Ende und Hoffnung über weite Strecken der türkischen Küste hinzieht. Aber da machten sich Tierschützer für den zweitletzten Brutplatz der Caretta stark, die Strandverbauung blieb Ruine, der Ort darf nicht höher als vier Stockwerke wachsen.

Zwischen Ort und Küste – ein Sumpf, durch den Schiffe zum Westende des Strandes pendeln, mit West-Touristen an Bord. Am Oststrand (zugänglich via Straße mit Sammeltaxi oder Leihwagen; wer die grandiose Kulisse bis Rhodos in den Blick nehmen will, biegt vor der Strandmautstelle ab und klettert fünf Kilometer zur Radarstation) sammeln sich türkische Touristen, die auch den Kopf schütteln, wenn Helikopter die Grenze zu Griechenland abfliegen. Aber sie bieten ein eigenes Bild, modern die einen, archaisch die anderen, deren Frauen in voller Kleidung baden gehen und dabei mit High-tech-Kameras hantieren: schroffe kulturelle Brüche. Auch die Dorfstraße hat sich verwandelt, mit Discos und beschallten Wirtshäusern – man lernt den Muezzin schätzen, solange er singt, herrscht sonst Ruhe –, ohne sichtbare Verwerfungen: Den Wagen müsse man nicht abschließen, beruhigt der Autovermieter, gestohlen werde nichts.

Ohne Auto gibt es ebenfalls genug zu tun: Gleich gegenüber dem Ortszentrum, über dem Fluß, hocken in 20m Höhe in der senkrechten Wand Felsengräber, gehauen von den Kauniern, die auch eine Stadtruine hinterlassen haben (Bootstouren; billiger und spannender: mit Ruderboot am „Dalyan-Hotel“ übersetzen lassen und zwei Kilometer wandern). Dann ist da der Fluß selbst (Kajaks – für Frühaufsteher: tagsüber zu viel Verkehr, abends Moskitos), an dem Schlammbäder Verjüngung um zehn Jahre versprechen und zumindest den Spaß halten, sich von Kopf bis Fuß eindrecken zu dürfen. Früher haben das die Kaunier zur Tarnung getan. Ohne Erfolg: Sie sind einfach verschwunden, und niemand weiß, warum sie ihre luftigen Gräber gebaut haben.

Die kleinen und die großen Sünden Hat man sich sattgesehen, bieten sich Touren: Zwölf-Insel-Rundfahrt vom nahen Göcek, ganztägig, mit Essen an Bord und schönsten Buchten ohne jedes Leben. Das Meer ist so gnadenlos überfischt, daß der Fischhändler seine Tintenfische aus Indien importiert; oder Saklikent, ein mächtiger Canyon, 100 km ostwärts; Märkte, auf denen Fälschungen aller Art (Jeans, Uhren) gehandelt werden, sogar falsche Tattoos aus Henna (verschwinden nach drei Wochen).

Länger halten die großen Sünden: Pamukkale, das „Baumwollschloß“ mit seinen im Prospekt blendendweißen Sinterterrassen (200 km im Norden) ist vor Wasserübernutzung ertrocknet und mit Grauschleiern überzogen; in Ephesos (250 km nordwestlich) sind die Hanghäuser mit ihren Fresken zum Schutz vor Touristen geschlossen. Auf der Rückfahrt über Priene, Milet und Didyma ein kleines Wunder: Herakleia am Camici-See liegt völlig abseits des Tourismus.

Zurück in Dalyan, noch schnell an den – nachts gesperrten – Strand mit seinen Hinweisen, was man zum Schutz der Caretta unterlassen möge: Schirme in den Boden stecken. Aber überall sind Löcher. Schon schimpft man auf die blöden Touristen, da steckt aus einem Loch ein Krebs seinen Kopf: Caretta war da, die Eierräuber sind es noch. Caretta selbst sieht man nicht, Flußschildkröten helfen aus: Allabendliche Fütterung mit Brot an der Flußterrasse eines der wenigen guten Lokale: Fragen Sie am Hafen nach dem Schiff zum Denizati-Restaurant. (Der Standard, Printausgabe)