Ein Land im Delirium.

Lissabon/Amsterdam - Nach dem 1:2 im Eröffnungsspiel der zwölften Fußball-EM-Endrunde gegen den vermeintlichen "Zwerg" Griechenland war er nicht zum ersten Mal in seiner Wahlheimat ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, jetzt hat Luiz Felipe Scolari Gastgeber Portugal erstmals in ein großes Endspiel geführt. Und jetzt wird er als Baumeister des größten Erfolgs der Iberer verehrt. Der Brasilianer selbst könnte am Sonntag zum ersten Teamchef avancieren, der mit verschiedenen Ländern den WM- (Brasilien 2002) und EM-Titel gewann.

Während viele der heurigen EM-Teilnehmer ihre Trainer austauschen, bleibt Scolari Portugal auch nach der Euro als oberster Trainer im Land treu. "Ich habe mit dem Verbandspräsidenten über unsere Ehe gesprochen, ich habe hier den Ring und 'Ja' zu zwei weiteren Jahren gesagt", erzählte der Teamchef nach dem 2:1-Triumph über die Niederlande im Halbfinale. Er möchte als Trainer seinen WM-Titel 2006 in Deutschland offenbar mit Erfolg verteidigen.

General ohne Kompromisse

In Japan und Südkorea holte der 55-jährige Fußball-Lehrer mit der "Selecao" durch den 2:0-Sieg im Endspiel gegen Deutschland den fünften Titel für Brasilien. Seither wird er auch unter dem Zuckerhut als "General Filipao" verehrt. Auf die Frage, ob es für ihn einen Unterschied geben würde zwischen dem WM- und dem möglichen EM-Titel mit Portugal, antwortete der Schnauzbartige: "Das wäre schon ein anderes Gefühl. Brasilien war schon vorher vier Mal Weltmeister, der fünfte Titel hat eigentlich nicht viel mit mir zu tun. Portugal war hingegen noch nie im Finale, der Sieg hier wäre für mich persönlich der wertvollere."

Als er ein halbes Jahr nach der WM 2002 nach Portugal kam, wurde Scolari nicht mit offenen Armen empfangen. Die ersten Resultate waren dürftig, die personellen Entscheidungen des schon in Brasilien als Sturkopf bekannten Trainers sorgten für Empörung. Den langjährigen Tormann-Helden Vitor Baia, der kürzlich mit dem FC Porto die Champions League gewann, ersetzte er durch Ricardo von Sporting Lissabon. Der dankte es ihm: Erst als Elfmeter-Töter und dann als entscheidender Schütze wurde er im Viertelfinal-Elfmeterkrimi gegen England zum Hero.

Als Scolari vor gut einem Jahr seinen Landsmann Deco einbürgerte, stöhnten das Volk und die Spieler auf. "Es reicht nicht, wenn man den Text der Nationalhymne kann, man muss sie im Herzen tragen", schimpfte Figo. Doch der giftige Regisseur hat sich einen Stammleiberl erkämpft. Der zum Reservisten degradierte Rui Costa trägt sein Schicksal genau so ohne Murren wie Figo seine Auswechselung. Portugals berühmtester Star seit Eusebio protestierte auf seine Weise und ergab sich vor dem Halbfinale dem militärischen Führungsstil des Disziplinfanatikers Scolari: "Alle müssen dem Trainer folgen, alle und immer."

Auch Regierungschef begeistert

Der historischer Fußball-Triumph von Luis Figo und Co. hat im Land des EM-Gastgebers und über dessen Grenzen hinaus einen kollektiven Freudenrausch ausgelöst. Der Schlusspfiff zum 29. Spiel der Euro 2004, das die Hausherren am Mittwoch in Lissabon gegen die Niederlande verdient 2:1 gewannen, war gleichzeitig der Startschuss für eine rauschende Sieges-Party, die Portugals Fans bis in die Morgenstunden des Donnerstags in ihren Bann zog.

Selbst Portugals Regierungschef Jose Manuel Durao Barroso packte das Fußball-Fieber, als er nach den Chancen für das sonntägige letzte Spiel befragt wurde. "Endspiel? Ich habe schon vorher gesagt, der Himmel ist das Limit", sagte der bald zum EU-Kommissionspräsidenten aufsteigende konservative Politiker.

Kaum Ärger in den Niederlanden

Wie in Portugal lief nach dem Spiel auch in den Niederlanden alles großteils friedlich ab, die Oranjes haben ihre Niederlage ruhig hingenommen. Nur in der Kleinstadt Oss, der Heimat von Ruud van Nistelrooy, kam es nach dem Schlusspfiff zu Scharmützel. Die Polizei musste rund zwei Stunden randalierende Fans besänftigen. Einige hundert Radaubrüder hatten im Zentrum Auslagen eingeschlagen, Geschäfte geplündert, Schlägereien angezettelt und Beamte angegriffen. Die mutmaßlichen Rädelsführer wurden von den Behörden festgenommen.

(APA/dpa/Reuters/AFP)