Dr. Volker Kier Unternehmensberater und Abgeordneter zum Nationalrat a. D. (Liberales Forum).

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Die Turbulenzen in der FPÖ im Spiegel ihrer – jüngeren – Geschichte. Verantwortlich für den prekären Istzustand der Blauen sind weder die Schwarzen noch die Mölzers oder Stadlers, sondern das Politikverständnis ihres schminkfreudigen De-facto-Chefs.

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Es war einmal ein Jörg Haider, der nicht eine Sekunde lang daran gedacht hätte, seine Freunde vom äußersten rechten Rand mit Taliban-Fundamentalisten gleichzusetzen. Ohne irgendwelche Skrupel oder Bedenken wurden Stimmen und Parteigänger aufgesammelt, wo immer sie zu erbeuten waren. Man erinnert sich: Einem Chamäleon nicht unähnlich, verstand es Haider vor Industriellen im Nadelstreif auftretend Wirtschaftsnähe zu signalisieren, im Trachtenjanker Volksnähe auszustrahlen, sich Industriearbeitern gegenüber als einzig legitimer Erbe sozialer Anliegen zu verkaufen und für seine alten Weggefährten vom rechten Rand den wahren Messias der nationalen Sache zu mimen. Dass ihm die Gleichzeitigkeit dieser Rollen kein Problem war, verdankte sich seiner moralischen Hemmungslosigkeit.

Gut ist, was mir und meiner Sache nutzt. Durch die Beliebigkeit des "nach dem Munde Redens" konnte sich Haider Dichands väterlicher Freundschaft gewiss sein. Zu Recht wurde er vielfach als Personifizierung der Blattlinie der Kronen Zeitung empfunden. Hier wie dort konnten sich jede und jeder herauspicken was ihr oder ihm gefiel und der Erfolg blieb da wie dort nicht aus. Was dem einen seine durchaus beeindruckenden Verkaufszahlen, waren dem anderen Erfolgsserien bei fast allen Wahlgängen.

Kurzschluss

Schon früh rückten nicht wenige Kommentatoren seine mit großer Regelmäßigkeit demonstrierte Kritiklosigkeit gegenüber ewig Gestrigem in den Mittelpunkt ihrer Pamphlete. Übersehen wurde dabei, dass auch diese unappetitlichen Anbiederungen und wohl auch unerträglichen Positionierungen nur ein Werkzeug unter vielen waren. Das waren die Tage als er die österreichische Nation noch eine Missgeburt nannte. Den millionenfachen Opfern der Konzentrationslager ließ er ausrichten, es habe sich ohnedies nur um Straflager gehandelt – gerade so als hätte es in der nationalsozialistischen Diktatur so etwas wie eine respektable Strafjustiz gegeben. Damals war die Beschäftigungspolitik des "Dritten Reichs" noch eine ordentliche und die alten Kameraden von der Waffen-SS noch Männer, die ihren Grundsätzen bis heute treu geblieben sind.

Schon in dieser Phase hätte eigentlich auffallen müssen, dass etwa Kriemhild Trattnig, eine frühe Weggefährtin seiner Kärntner Jahre, in dem Augenblick über die Klinge springen musste, als sie für künftige Erfolge nicht mehr nützlich erschien. Rückblickend sei zugegeben, dass die NS-apologetischen Grauslichkeiten das eigentliche Problem nahezu überdeckt haben, nämlich die an Gesinnungslosigkeit grenzende Beliebigkeit der Wahl der Mittel zum Erfolg.

Die Wende wurde – wenn auch unbeabsichtigt – durch den Eintritt der FPÖ in das Kabinett Schüssel I eingeleitet. Anfänglich half noch die vermutlich gut gemeinte aber politisch nicht zu Ende gedachte Reaktion der 14 übrigen Mitglieder der Europäischen Union. Blitzartig wurde die Chance erkannt, durch das Etikett "Sanktionen" einen angemessenen Solidarisierungseffekt zu erzielen und scheinpatriotische Emotionen zu schüren.

Schulterschluss und Vaterlandsverrat waren die Reizworte. Dass Andreas Khol seine These vom Verfassungsbogen schon zuvor fallen gelassen hatte, erhielt dergestalt eine nachträgliche Unterfütterung. Hier die heimattreue blau-schwarze Regierung, dort die nestbeschmutzende Opposition und die irregeleitete Internet-Generation (Wolfgang Schüssel) schon gar.

Irrtum

Es dauerte aber nicht lange, bis der FPÖ durch eine schwere strategische Fehleinschätzung ihre Wachstumsgrenzen aufgezeigt wurden. "Knittelfeld" wäre dann möglicherweise eine Episode unter vielen geblieben, hätte Haider erkannt und danach gehandelt, dass selbst seine gefolgstreuesten Zöglinge und Gehilfen nicht beliebig manipuliert werden können. Die damalige, ihrem Mentor Haider noch im Abgang bedingungslos loyale, Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer war schließlich menschlich überfordert, als vor den versammelten Parteirebellen in der Obersteiermark ein von ihr mit ihrem Chef ausgehandeltes Kompromisspapier einfach "in der Luft zerrissen" wurde.

Treppenwitz

Es folgten Neuwahlen mit dem bekannten Stimmentransfer von der FPÖ zur ÖVP. Es folgte aber auch eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ Koalition. Schon damals war ein Gutteil Glaubwürdigkeit verspielt. Noch dramatischer sollte sich allerdings auswirken, dass für Haider in seinen

guten Tagen jedweder Kompromiss ganz grundsätzlich eine faule Sache war. In den Jahren der Opposition war dies ein leicht fassliches Vernaderungsinstrument. Für eine Regierungspartei ist eine solche Haltung fatal.

Nach weiteren dramatisch verlorenen Wahlgängen mit dem Höhepunkt des Desasters bei der Wahl zum europäischen Parlament war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis es mit dem verbliebenen Rest der treuen Anhängerschaft der FPÖ zum offenen Konflikt kommen würde: Da die so genannten Nationalen in der geschrumpften Partei wieder eine numerisch größere Rolle spielen, melden sie sich massiv zu Wort.

Da konnte auch der Wahlerfolg bei den Kärntner Landtagswahlen nicht mehr helfen. Haiders Argument: "Das Kärntner Beispiel zeigt, wo wir eine traditionelle Regierungspartei sind, feiern wir unsere größten Wahlerfolge", wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte.

Und die Moral von der Geschicht', liebe Kinder? – Auch wer als bedenkenloser Oppositioneller einen grandiosen Aufstieg genommen hat, sollte die alte Volksweisheit nicht vergessen: "Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst die niemand kann." (DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2004)