Bild nicht mehr verfügbar.

Die FKK ist zwar etwas aus der Mode gekommen - aber den Ständestaat hat sie allemal überlebt

Foto: APA/EPA
"Manchmal ist die berittene Polizei plötzlich aufgetaucht und hat alle verhaftet, die nackt waren. Daher war ein Dienst eingerichtet: Wenn jemand Polizisten gesehen hat, hat er laut gepfiffen. Das hat sich über die ganze Hirscheninsel fortgepflanzt, und so hat die Polizei meistens niemanden erwischt." Jenny Strasser, in den frühen Dreißigerjahren Funktionärin der Sozialistischen Arbeiterjugend, hat erlebt, wie das Dollfuß-Regime den Freunden des textilfreien Badens, das in den Jahren zuvor bei der Wiener Bevölkerung wachsenden Zuspruch gefunden hatte, die sorg- und kostenlosen Sommerfreuden auf der Hirscheninsel in der Lobau und anderen Badeplätzen an der Donau vermiest hat.

Verfolgte Nudisten

Der Aufstieg der FKK, die sich damals noch weniger verschämt "Nacktkultur" nannte, wurde 1933 abrupt unterbrochen. Die sich als Vollstrecker klerikaler Moralgebote verstehende Regierung hatte nach Ausschaltung des Parlaments eine Notverordnung "zum Schutze der Sittlichkeit und Volksgesundheit" erlassen. Politisch orientierte FKK-Vereine wurden aufgelöst, Geselligkeitsvereinen wurde das Nacktbaden untersagt und "wilde" Nudisten wurden verfolgt.

Hunderte von diesen waren, wie ein anderer Zeitzeuge berichtet, Arbeitslose, die mit Frau und Kindern per Fahrrad oder zu Fuß in die Lobau kamen, nicht selten auch den ganzen Sommer über dort blieben. Es kamen Sozialdemokraten und Kommunisten, auch Nazis (die allerdings das Ufer gegenüber Greifenstein bevorzugten), und auch Leute, die nur einfach auf das lästige Badekleid verzichten wollten. "Aber nicht nur die Nacktheit war ihnen gemeinsam (. . .) auch das eiserne Zusammenhalten gegenüber den Hütern der Obrigkeit, die beritten oder zu Fuß Jagd auf die illegalen ,Nackerten' machten. Höherenorts betrachtete man die Hir-scheninsel als einen Ort abgründiger Verschwörung, und es wurde alles Menschenmögliche getan, um den Arbeitslosen dortselbst den Aufenthalt zu verleiden . . ."

So etwa, als der illegale KPÖ-Pressedienst über ein Verbot des Aufschlagens von Zelten im Überschwemmungsgebiet berichtete: "Sind die österreichischen Bourgeois, die die heißen Tage in luxuriösen Badeorten verbringen, den arbeitslosen Proleten ihre Gratisriviera in der Lobau etwa neidig? Das wohl nicht. Wir leben ja in einem sozialen Ständestaat, wo eben jedem ein standesgemäßes Vergnügen zukommt. Aber wo mal viele Proleten zusammenströmen, da wird halt weniger vom Ständegedanken als von der Diktatur des Proletariats gesprochen . . ."

In den bornierten Vorstellungen des austrofaschistischen Polizeistaates war offenbar von vornherein klar: Wer nackt badet, deklariert sich als Staatsfeind. Das machte viele FKK-Freunde auch vorsichtig. So berichtet Maria Bayza, eine junge Erzieherin bei der Gemeinde Wien, die im "Arbeitskreis Sozialistischer Lehrer" die Sommertage in der Lobau verbrachte. "Wir waren eine ganze Clique. Premiere war jeweils der Nachmittag des Ersten Mai. Nach dem Aufmarsch musste gebadet werden, auch wenn es sehr kalt war. Wir haben mit Diskus, Kugel, Springschnur nackt gespielt, sind um die Insel gelaufen . . ."

1934 wurde alles anders, sie musste einen Erlass unterschreiben: "Wer mit mangelhafter Bekleidung angetroffen wird, hat mit disziplinären Folgen zu rechnen." Das war eindeutig gegen die Lobau gerichtet. Sie wurde vorsichtiger, zumal ihre Familie wegen ihres Bruders, der Kommunist war, wiederholt Hausdurchsuchungen erleben musste. "Einen der Beamten habe ich dann in der Lobau als Nackerten wiedergetroffen. Da habe ich mich endgültig nicht mehr hinuntergetraut." (Manfred Scheuch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3./4. 7. 2004)