Vertreter europäischer Staaten standen in Verhandlungen über eine freiwillige Überstellung von Radovan Karadzic und Ratko Mladic an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Das berichtete die bosnische Tageszeitung Dnevni Avaz am Montag auf ihrer Titelseite. Ein Abkommen mit den beiden wegen Kriegsverbrechen angeklagten bosnischen Serben sei jedoch Mitte Juni geplatzt.

Dem Zeitungsbericht zufolge waren mehrere französische, italienische, britische und deutsche Gesandte in Bosnien unterwegs, um das Angebot des Expräsidenten der bosnisch-serbischen Republika Srpska (RS), Karadzic, und seines Armeechefs Mladic, sich dem UN-Gericht zu stellen, zu überprüfen.

Die Sprecherin der UN-Chefanklägerin Carla del Ponte, Florence Hartmann, dementierte am Montag gegenüber dem STANDARD, dass das Tribunal jemals Kontakt aufgenommen habe. "Es finden keine Verhandlungen statt", so Hartmann.

Zuvor hatte der serbisch-montenegrinische Verteidigungsminister Prvoslav Davinic erklärt, dass Mladic möglicherweise bereit sei, sich dem Gericht in Den Haag zu stellen. Das Statement erfolgte nur zwei Tage nachdem die Nato-geführte Bosnien-Schutztruppe SFOR eine Razzia in den Militäranlagen von Han Pijesak durchgeführt hatte. Geheimdienstberichten zufolge gehören die noch unter Tito errichteten Atombunker am Rande der ostbosnischen Kleinstadt zu den wichtigsten Schlupfwinkeln Mladics.

Spekulationen über eine freiwillige Überstellung der beiden meistgesuchten mutmaßlichen bosnischen Kriegsverbrecher hat es in bosnischen Medien in den vergangenen Wochen mehrfach gegeben. Weil beide Beschuldigten aber noch immer auf freiem Fuß sind, entließ der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Paddy Ashdown, vorige Woche 59 bosnisch-serbische Politiker und Funktionäre. Darunter befand sich auch der Vorsitzende der von Karadzic gegründeten Serbisch-Demokratischen Partei (SDS) und RS-Parlamentspräsident Dragan Kalinic. Mitte Juni hatte er Karadzic überraschend aufgefordert, sich freiwillig zu stellen. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2004)