Brüssel/Wien – Europaparlamentarier sehen eine "neue Eugenik", EU-Forschungskommissar Philippe Busquin beschwichtigt mit Hinweis auf die "Freiwilligkeit": Es geht um die Empfehlung, alle Neugeborenen einem genetischen Screening zu unterziehen. Diese wurde, wie berichtet, vergangene Woche von jener Expertengruppe abgegeben, die von der EU-Kommission eingesetzt worden war, um ethische, rechtliche und soziale Folgen von Gentests am Menschen zu erörtern. Auch aus Österreich kommt nun Kritik an diesem Vorstoß.

Neugeborene sollen auf behebbare Erbleiden untersucht werden, so die EU-Expertise, die von der Pharmaindustrie, Forschern, Juristen, Philosophen, Ethikern und Medizinern verfasst wurde. EU-Mitgliedsstaaten sollen bei bestimmten Krankheiten "vorrangig Maßnahmen zu einem universellen Neugeborenen- Screening" ergreifen.

Gentests als "Mittel zur Vorhersage oder Heilung"

Die Experten sehen Gentests als "Mittel zur Vorhersage oder Heilung" von Leiden. Im Idealfall könne man nämlich "durch die Tests dem Ausbruch von Krankheiten oder der Zeugung behinderter Kinder vorbeugen". Laut der Tageszeitung Die Welt sei es Kommissar Busquin wichtig, "dass die Empfehlung für Gentests an Babys in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird".

Die deutsche EU-Abgeordnete Hiltrud Breyer (Grüne) bezeichnete den Vorschlag als "verantwortungslos", da es keine Vorkehrungen gegen Missbrauch gebe. Gentests an Babys dürfe es nur geben, wenn Therapiemöglichkeiten bestünden und Freiwilligkeit der Eltern gegeben sei. "Sonst wird Tür und Tor für eine neue Eugenik geöffnet." Daraufhin stellte Busquin klar, dass er sich niemals für verpflichtendes Genscreening an Babys ausgesprochen hätte.

Auch der Linzer Genetiker Markus Hengstschläger, der am Wiener AKH seit Jahren derartige Tests macht – "ausnahmslos auf freiwilliger Basis und nur bei Vorliegen von Verdachtsmomenten, wie einschlägigen Familiengeschichten", wie er betont – kann sich mit der EU-Empfehlung nicht anfreunden: "Das Intimste, was der Mensch hat, ist sein genetisches Profil. Da kann man nicht so einfach flächenmäßig drüberfahren."

Gezielte Therapie

Weder die Empfehlung noch die Möglichkeiten der Genetik seien derart ausgereift, dass ein generelles Screening empfohlen werden dürfte. Nur in wenigen Fällen könne man anhand eines Gentest bei Neugeborenen Spätfolgen verhindern. Und zwar deshalb, weil man "bei diesen Fällen sicher weiß, dass der entsprechende Gendefekt auch tatsächlich zu einer Krankheit führt, die man durch gezielte Therapien verhindern kann". Doch der Großteil der möglichen Gentest biete entweder diese Sicherheit nicht, oder aber es gebe gar keine Behandlungsmöglichkeiten. Mit Ausnahme jener Gentests, die einen "unmittelbaren therapeutischen oder prophylaktischen Nutzen für das Kind haben", seien solche Screenings daher "grundsätzlich abzulehnen". In der EU werden jährlich 700.000 Gentests im Wert von 500 Millionen Euro durchgeführt. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 7.7.2004)