Forscher und Theoretiker diskutierten hier die "Wendung zum Ikonischen", die bereits an der Münchner Uni, wieder unter Burdas Schirmherrschaft, einer Vortragsreihe den Namen gegeben hatte, welche natürlich wiederum medial, durch Bilder verbreitet wurde. Zudem laufen Ausstellungen, finden Symposien statt, gründen sich Arbeitskreise von Kulturwissenschaftern und Historikern, alle zu diesem Thema und seinen Varianten: viel Beachtung, viele Worte um Bilder, die, einem der verbrauchtesten Klischees zufolge, doch selbst mehr sagen als tausend Worte.
Neu ist die Beschäftigung mit der steigenden Bilderflut nicht. Spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert und in immer wiederkehrenden Wellen diagnostizierte man sie und immer hatte man Recht - gemessen an früher gab es mehr piktorielle Darstellung und weniger klassischen Text. Neu ist die wachsende Erkenntnis, dass es nicht nur um quantitative Zunahme, sondern um qualitative Veränderungen geht: dass Bilder ihren eigenen Sinn produzieren, ihrer eigenen Logik gehorchen und uns die ihrige aufzwingen, wenn etwa die Sichtbarmachung von bislang unsichtbaren Prozessen bestimmte Imagines im Kopf erzeugt. Dass ist mehr als die Semantik der Filmsprache (die uns ja wiederum nicht neu ist), das dringt vielmehr in Denk- und Sinngebungsbereiche ein und vermittelt dort Bedeutung, wo man auf die Vorherrschaft des rationalen Diskurses pocht.
Keine Rede, meinten vor rund einem Jahrzehnt zuerst die Literaturwissenschafter und Kunsthistoriker, die in Deutschland und den USA die Begriffe "iconic" bzw. "pictorial turn" prägten. Mit unterschiedlichen Ausprägungen, wie sie der Kunstkritiker Willibald Sauerländer konstatiert. Er nennt die Rede vom "iconic turn", wie sie vor allem unter kontinentaleuropäischen Kunsthistorikern geführt wird, einen "sympathischen Versuch, die (. . .) Vorstellung von der Absolutheit, der Aura der Kunst gegen den Verbrauch der Bilder durch deren mediales Verständnis zu erretten". Dem stellt er die Frage nach der Suggestivkraft von Bildinszenierungen entgegen; er bezeichnet sie als amerikanische Position, sie habe eine schwellenlose Einstellung zur massenhaften Verbreitung durch Medien: Bilder zur emotionalen Identifikation statt abstrakter Diskurs - das entspreche einem "extrovertierten iconic turn: Sein heißt wahrgenommen werden."
Die inszenatorische Kraft der Bilder ruft nach (Re)interpretation des Gesehenen, bei weitem nicht nur in der Kunst. Auch dort, wo reale Gewalt durch Abbildungen ergänzt oder verdeckt wird, wird diese Kraft deutlich. In einer kuriosen, aber nicht zufälligen Verdichtung der Ereignisse findet zugleich eine österreichische Forschungsarbeit über Fotos aus dem Ersten Weltkrieg als Propaganda statt, eine Ausstellung über dasselbe Thema im Deutschen Historischen Museum Berlin (bis 15. August) und die Vorbereitung der Bildtage Göttweig über "Bildgedächtnis - Bildvergessen. Survival of the the images" (24. bis 26. September) - und das ist nur eine kleine Auswahl der akademischen Beschäftigung mit Ikonen (sehr viel mehr auf der "Bildpolitik"-Website siehe Artikelende). Währenddessen steht die Welt unter dem Schock digitaler Dokumente von Folter und Enthauptung und sucht nach einem Erklärungsmuster für die Folgen ihrer Mediatisierung.
Für Geschichtswissenschafter sind die Ikon-Diskurse Anlass, sich mit den "Erzählungen" der Vergangenheit unter neuem Blickwinkel zu beschäftigen. Bilder entwickeln ihre eigene narrative Kraft, die es zu verstehen gilt. Was bringt uns etwa dazu, mit dem Begriff "Europa" etwas Emotionales zu verbinden? Einen Binnenmarkt könne man nicht lieben, hat Jacques Delors vor Jahren gesagt; wo also könnten die Identifikationsmuster für eine solche Liebe oder wenigstens Zuneigung liegen?
Das herauszufinden, ist eines der Ziele des Forschungsprojekts "Iconclash. Kollektive Bilder und Democratic Governance in Europa" vom BMBWK, dem Demokratiezentrum Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Es ist, wie Projektleiterin Heidemarie Uhl sagt, ebenfalls vom "visual turn" geprägt. Dieser habe darauf aufmerksam gemacht, wie sehr Identitäten durch Bilder geprägt werden. Die durch sie vermittelten Vorstellungen und Deutungen der sozialen Wirklichkeit "werden handlungsleitend und beeinflussen so die politische Praxis".
Vom "Clash" sprechen die Forscher, weil sie unter der "offiziellen" EU-Bildebene (etwa Familienalbum-Fotos der Politiker oder die christliche Kathedralensymbolik auf den Eurobanknoten) nach Widersprüchen und Kontroversen suchen. "Als es um die neuen Beitrittsländer ging", sagt Uhl, "gab es viele Darstellungen mithilfe der Folklore. Das sah nett aus, war aber zugleich eine Markierung für ,das Andere', das Fremde - ein postkolonialer Blick."