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STANDARD: Was sind die Tendenzen in den USA bei der Anwendung von Reproduktionstechnologien? Andrews: Technologien, die Paaren helfen, Kinder zu bekommen, werden immer häufiger genutzt. 2001 resultierten 30.000 Schwangerschaften daraus. Das ist mit einem erhöhten Risiko zu Zwillings- und Drillingsschwangerschaften verbunden. Einen Anstieg zeigt auch die Nutzung eingefrorener Embryonen bei künstlichen Befruchtungen. Mittlerweile gibt es in den USA etwa 400.000 eingefrorene Embryos - genug, um eine Stadt zu bevölkern.

In den USA sind fast alle Reproduktionstechnologien über den freien Markt verfügbar - wie die vorgeburtliche Geschlechtsselektion, Mietmütter, oder die Zeugung eines Kindes, wenn man schon gestorben ist. Der Trend ist, immer mehr Optionen einzuräumen, ohne eine Diskussion über die Folgen oder eine umfassende Rechtssetzung.

STANDARD: Wie sieht das bei genetischen Tests aus?

Andrews: Gentests sind frei im Internet verfügbar. Es werden sogar solche angeboten, von denen Mediziner sagen, dass sie noch keine klaren Vorhersagen gestatten. Sich testen zu lassen ist einfach: Man sendet einen Speichelabstrich ein und erhält die Resultate per Post. Das muss nicht mal ein Mediziner machen. Das ist einfach irgendjemand in einem Labor.

STANDARD: Gibt es rechtlichen Schutz vor genetischer Diskriminierung?

Andrews: Da die USA kein nationales Gesundheitssystem hat, können hier tatsächlich Versicherungen Menschen genetisch diskriminieren. Es gibt zwar Bundesgesetze, aber die schützen nicht jene, die auf Privatversicherungen angewiesen sind. Und wenn ich zum Beispiel eine genetische Neigung für Brustkrebs habe, dürfen Arbeitgeber zwar nicht höhere Versicherungsbeiträge von mir verlangen. Aber die Versicherung kann das gesamte Unternehmen höher belasten, wenn nur einer der Angestellten ein höheres Krankheitsrisiko hat.

STANDARD: Es scheint immer mehr solcher Diagnoseverfahren zu geben.

Andrews: Praktisch jedes Feld adoptiert Gentests - solche, die einem sagen, welche Vitamine man nehmen sollte, oder ob man zu Zahnfleischerkrankung neigt. Oft werden auch Tests angeboten, die einem sagen, ob man indianischer Abstammung ist. In Minderheitenprogrammen hat man damit Chancen auf höhere Studienbeihilfen.

STANDARD: Warum diese Zunahme?

Andrews: Es gibt kommerzielle Interessen. Die 1480 US-Biotech-Unternehmen halten mehr Patente auf DNA-Sequenzen als alle anderen. Sobald eine Firma ein Gen besitzt, drängt sie darauf, möglichst Viele zu testen.

STANDARD: Und da gibt es keinerlei staatliche Regulierung?

Andrews: Unser Rechtssystem erklärt die Food and Drug Administration für zuständig. Diese aber garantiert nur, dass der Test sicher und wirkungsvoll ist. Sie kümmert sich nicht um die Ausübung. Die Durchführung des Tests bleibt überhaupt den Konsumenten überlassen. Es gibt zwar eine Regierungsstelle, die Laboratorien prüft. Wenn aber die Vorschriften befolgt werden, können die nicht sagen, man sollte das Testen unterlassen.

STANDARD: Treten Sie für eine gesetzliche Regelung ein?

Andrews: Ja. Jedoch haben diese Fragen für die republikanische Administration keine Priorität. Auch zur Fortpflanzungsmedizin gibt es keine ernsthafte Initiative. Teils ist das eine Konsequenz des individuellen Selbstbestimmungsrechts. Niemand kann einer Frau sagen, ob sie ein Kind haben soll oder nicht. Ferner begegnet der Wissenschaft wenig Skepsis: Innovation bedeutet in den USA immer Fortschritt. Wir haben Skepsis ja nicht gelernt, haben auch eine kürzere Geschichte als Europa. So sucht man eben nach magischen Pillen. Dazu kommt, dass Umweltgruppen oder Feministinnen im Unterschied zu anderen Ländern in den USA vor der Forderung nach Restriktionen zurückschrecken, weil sie befürchten, damit auch ihr Abtreibungsrecht zu verlieren.

STANDARD: Die Alternativen zum Selbstbestimmungsrecht der Frau wären, den Ärzten oder der Politik die Entscheidungsmacht zu übertragen. Jürgen Habermas hat bereits davor gewarnt, dass das zu einer neuen Form "liberaler Eugenik" führen könnte. Andrews: Eine "zweite Welle" der Eugenik unter liberalen Vorzeichen ist durchaus denkbar. Man denke nur an die Klienten von Samenbanken, die die intelligentesten und schönsten Spender auswählen. Aber aus liberaler Perspektive muss man auch nicht gewollte Resultate in Kauf nehmen. Das ist das Dilemma einer auf Grundrechten basierenden Regelung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11. 7. 2004)