London - Der frühe Verlust des Augenlichts schärft den
Hörsinn. Menschen, die schon in frühester Kindheit erblindeten, hören
besser als Sehende oder solche, die später blind wurden. Das
berichten kanadische Wissenschafter im britischen Fachblatt "Nature". Sie können sich demnach nicht nur besser mit Hilfe
von Geräuschen orientieren, sondern auch die Unterschiede in der Höhe
zweier Töne besser beurteilen.
Die Forscher um Pascal Belin von der Universität von Montreal
(Kanada) hatten den Testpersonen jeweils hintereinander zwei Töne
vorgespielt, die entweder anstiegen oder abfielen. Sie erhöhten den
Schwierigkeitsgrad der Übungen, indem sie entweder die Dauer des Tons
oder die Abstände zwischen beiden verkürzten. Diejenigen Probanden,
die sehr früh erblindeten, schnitten in allen Tests besser ab als
Sehende oder später Erblindete. In der schnellsten - und damit
schwierigsten Testvariante - erzielten sie so gute Ergebnisse wie
Sehende in der einfachsten Variante. Je früher die Probanden
erblindet waren, desto besser konnten sie hören.
Bisher war zwar bekannt, dass sich Blinde generell besser anhand
von Geräuschen orientieren können als Sehende. Ob sie auch in anderen
"Hörbereichen", etwa der Wahrnehmung von Musik besser abschneiden,
war umstritten - vermutlich auch, weil der Zeitpunkt der Erblindung
in entsprechenden Untersuchungen nie berücksichtigt wurde, schreiben
die Wissenschafter. Ihre Ergebnisse stimmten gut mit der Lehrmeinung
überein, dass die "zerebrale Plastizität" - die Verschaltung des
Gehirns - in der frühen Entwicklung effizienter ist als später im
Leben. Der Verlust eines Sinnes kann dann besser kompensiert werden.
(APA/dpa)