Begründung: kein Platz. Auf Ministeriumsebene wird nach einer Lösung des Problems gesucht.
72 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher glauben laut einer OGM-Umfrage, dass Pflegeberufe forciert werden müssen. Doch nur zehn Prozent der Befragten möchten selbst im Pflegebereich arbeiten. Derzeit leben in Österreich rund 550.000 pflegebedürftige Menschen. Ihnen stehen 65.000 Pflegende zur Verfügung. Zu wenig, um der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen – in den nächsten 25 Jahren wird sie auf über 800.000 ansteigen – gerecht zu werden.
Der Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften wird vom Wirtschaftsministerium für die nächsten zehn Jahre mit 30.000 beziffert. "Der nachgewiesene Pflegepersonalbedarf wird von Managern und Politikern ignoriert, die Pflegenden werden seit Jahrzehnten vertröstet und die Situation spitzt sich zu", kritisiert Franz Allmer, Präsident des Berufsverbands österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeberufe, gegenwärtige Zustände.
Das Arbeitsministerium reagierte auf die Kritik und Negativberichterstattung nach den jüngsten Pflegeskandalen mit Werbung. "Der Beruf hat Zukunftschancen", ist Minister Martin Bartenstein überzeugt und startete eine Imagekampagne für Pflegeberufe. Der Slogan "Pflegeberufe. Der Job des Lebens" soll vor allem junge Menschen und Wiedereinsteigerinnen ansprechen.
"Warum werden dann so viele interessierte junge Menschen von der Ausbildung ausgeschlossen?", fragt Johann Hable, Vorsitzender der Bundessektion Gesundheits-und Sozialberufe in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. "Wir leisten uns in Österreich den Luxus, zwei Drittel der jungen Menschen, die sich um Aufnahme in einer der Krankenpflegeschulen bemühen, abzuweisen." Die Begründung lautet: Platzmangel. Die Ursache liege in der "überholten Ausbildungsstruktur", die "rein auf die Rechtsträger bezogen" sei.
Der eigene Bedarf
Die Kranken- und Pflegeanstalten bilden "in ihren eigenen Schulen für den eigenen Bedarf aus und nicht für die Allgemeinheit". Die Forderung des Gewerkschafters: "Man muss zusätzliche öffentliche Schulen schaffen." Außerdem fehle immer noch das Angebot einer berufsbegleitenden Ausbildung, kritisiert die Gewerkschaft. Hable: "Die Ausbildung muss auf fünf Jahre ausgeweitet werden, damit sie auch in Abend- und Wochenkursen gemacht werden kann."
Wenig hält man in der Gewerkschaft von der ministeriellen Absicht, das Ausländerkontingent für Pflegeberufe zu erweitern und "7000 Pflegekräfte aus Billiglohnländern zu holen". Priorität hätte die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen, um die Fluktuation abzuschwächen. Die Ministerien Wirtschaft und Arbeit, Gesundheit und Frauen könnten "entscheidend mithelfen, dass der Verbleib der Diplomierten Gesundheits- und Krankenschwestern in ihrem Beruf attraktiver gestaltet wird".
Im Durchschnitt bleiben Krankenschwestern ganze sechs Jahre in ihrem Beruf. Einem "merkwürdigen Beruf, der von seinen Berufsangehörigen verlangt, Mädchen für alles zu sein", wird die Pflegewissenschafterin Hilde Steppe auf www.pflegenetz. at, dem größten österreichischen Internetportal der Branche zitiert. Steppe umschreibt die Aufgaben der Pflegenden als "unendliche, zeitlose, nicht abgrenzbare und nie aufhörende Arbeit", die "auch noch gern und sicher gegen geringen Lohn bis zur Erschöpfung verrichtet wird".
Zu den vorrangigsten Verbesserungsmaßnahmen zählt die Gewerkschaft zusätzliche Posten, familienfreundliche Arbeitszeiten und ein flächendeckendes Angebot von Kinderbetreuungsplätzen für die Pflegenden. Klar abgelehnt werden von den Fachkräften die Ideen aus dem Sozialministerium, zusätzliche Pflegekräfte aus ähnlichen Berufen zu holen. "Da will man Heimhilfen mit Schnellsiedekursen in Pharmakologie ausbilden, damit sie Medikamente verabreichen können", warnt Johann Hable vor drohendem Qualitätsverlust. Sozialminister Herbert Haupt erklärte, die Bedenken ernst zu nehmen, und versprach bei einem Treffen am vergangenen Montag, gemeinsam mit der Gewerkschaft nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. (Der Standard, Printausgabe 15.07.2004)