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Der 20. Juli 1944 ist auch in Wien ein heißer Sommertag. Wehrmachtsoffizier Carl Szokoll, direkter Verbindungsmann von Stauffenberg im Wiener Generalkommando des Wehrkreises XVII hat sich an diesem Tag mit Christl, seiner späteren Ehefrau, im Stadionbad verabredet. Doch es kommt ein lang erwarteter Anruf: "Hier Bernardis. Bleib bitte heute im Büro, auch wenn es spät werden sollte." Robert Bernardis, Österreicher und engster Mitarbeiter des späteren Hitler-Attentäters, Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, hatte Szokoll in die "Operation Walküre" eingeweiht, die ursprünglich als Plan gegen mögliche Aufstände im Reich von Hitler selbst genehmigt worden war. Die Aktion für den Putsch war also umfassend getarnt - und erfolgte gewissermaßen auf dem Dienstweg. Gegen 17 Uhr erfährt Szokoll durch seinen Vorgesetzten Oberst Heinrich Kodré: "Der Führer ist tot."

Aber Adolf Hitler ist nicht tot. Er kommt mit Prellungen und geplatzten Trommelfellen davon. Stauffenberg und drei Mitverschwörer werden noch in derselben Nacht im Bendlerblock in Berlin erschossen. Die Verhaftungswelle rollt. Am 8. August stirbt auch Robert Bernardis, aufgehängt an einem Fleischerhaken. Allein in Berlin-Plötzensee werden zwischen diesem 8. August 1944 und dem 9. April 1945 89 Menschen ermordet, die den Widerstandskreisen des 20. Juli zugerechnet werden.

Carl Szokoll, er trägt bereits einen Abschiedsbrief für seine Frau in der Tasche, wird als Mitverschwörer nicht entdeckt und bleibt verschont. Mehr noch: Am 1. August 1944 wird er, 28-jährig, zum Major befördert. Dennoch: Durch seine Mitwirkung und langwierige Vorbereitung der "Operation Walküre" gelang in Wien kurze Zeit das, was in Berlin nicht glückte: Für mehrere Stunden werden Spitzenführer der NSDAP vom Militär verhaftet, die Gestapo-Führung sowie hohe SSler arrestiert.

An einem heißen Julitag 2004, 60 Jahre später, sitzt Carl Szokoll auf seinem Sofa in Wien Oberlaa und sagt: "Die wahre Tragik des 20. Juli liegt in der Erkenntnis der Verschwörer, dass es nach der Landung der Alliierten am 6. Juni in der Normandie für ein erfolgreiches Attentat zu spät war." Warum Leute wie er es trotzdem gewagt haben? Der heute 88-jährige Szokoll zitiert an dieser Stelle Generalmajor Henning von Tresckow, der sich nach dem missglückten Attentat in die Luft sprengte: "Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte. Es geht darum, der Welt zu beweisen, dass es ein anderes Deutschland gibt." Der Kampf der Attentäter - eine Aufopferung im Bewusstsein, dass es zu spät ist? Das sei, laut Szokoll, die Tragik der Gruppe von Männern, zu denen er selbst gehörte. Ob die Verschwörer überzeugt waren, dass es nach einem geglückten Attentats gelingen würde, ein neues Deutschland aufzubauen, weiß Szokoll bis heute nicht und lässt seine angezogenen Schultern wieder sinken. Faktum bleibt: Vom 20. Juli 1944 bis zum Kriegsende sterben mehr Deutsche als zwischen Kriegsbeginn 1939 und dem Attentat. Dazu kommen unzählige Opfer der Nazi-Vernichtungsmaschine und die Kriegsopfer anderer Länder.

Szokoll gibt nach dem Scheitern des Putsches die Arbeit gegen das Regime nicht auf. Er beginnt jetzt ohne Verbindung nach Berlin, Widerstand zu organisieren. Neun Monate nach "Walküre" hat Szokoll wieder Glück im Unglück. Seine Gruppe ist fest entschlossen, Wien im April 1945 vor der totalen Zerstörung zu retten und arbeitet längst im Rahmen der "Operation Radetzky" an einem Plan, der den Russen helfen soll, Wien zu erobern. Ein Führungsoffizier verrät die Aktion, drei Offiziere aus Szokolls engstem Stab werden aufgehängt, er selbst kann untertauchen. 10. 000 Reichsmark sind auf seine Ergreifung ausgesetzt, er selbst zum Tode verurteilt. Im Wirrwarr der Befreiungstage schlägt sich Szokoll zu den Russen durch, wird allerdings von Stalins Geheimpolizei verdächtigt, amerikanischer Spion zu sein - und eingesperrt.

Während Szokoll von damals erzählt, ist seine rechte Hand ständig in Bewegung. Dieselbe Hand, die er 1939 Adolf Hitler reichte. Gemeinsam mit 156 Leutnants aus der Ostmark war er dem Führer vorgestellt worden. "Hitler gab mir die Hand ... er, der Führer, der Mann, in dessen Auftrag Jahre später ein Standgericht der Wehrmacht mein Todesurteil aussprach", schreibt Szokoll in seiner Autobiografie Die Rettung Wiens 1945: "Es war nicht der Messias, den ich da spürte, es war die Gewalt des Bösen." Aber: Ich darf nicht davonrennen, sagt sich Szokoll damals, ich muss kämpfen. Wenige Monate vor dem 20. Juli 1944 wurde Szokolls Hand auch von Stauffenberg in Berlin gedrückt: "Von diesem Griff wollte ich mich nicht befreien, wie vor Jahren von der Hand Hitlers im Zeughaus. Dieses Mal hielt auch ich sie fest."

Carl Szokoll, nach dem Krieg Autor sowie Film- und Fernsehproduzent von Welterfolgen wie Die letzte Brücke oder Der letzte Akt, hat versucht, immer nach vorne zu blicken: "Alle Bearbeitung der Vergangenheit ist grundsätzlich bedingt durch die Haltung desjenigen, der sich mit dem Thema beschäftigt." Und wenn er doch zurückdenkt, bezeichnet er das Europa in dem wir heute leben, als einen Traum, der wahr wurde. "Was damals war, war so entsetzlich, dass man es eigentlich nicht in aller Hässlichkeit wiedergeben kann. Die Menschen müssen darauf achten, solche Geschehnisse in Zukunft verhindern zu können."

In diesem Sinne arbeitet der 88-Jährige derzeit an einem Sciencefiction-Roman mit dem Titel Operation Frieden: "Die Helden sollen keine Helden des Krieges, sondern Helden des Friedens sein." Auf der Rückseite von Szokolls Biografie steht zu lesen: "Weder bin ich ein Heiliger noch ein Prophet - ein Verräter haben manche gesagt, andere ein Held..." (Michael Hausenblas/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18 7. 2004)