Der Jesuit Hans Tschiggerl, Leiter des internationalen Priesterseminars Canisianum in Innsbruck, plädiert für eine offene Diskussion über den Pflichtzölibat. Der Zölibat sei "eine wichtige Lebensform", aber "nicht wesentlich" für das katholische Priesteramt. "Es stellt sich die Frage, wieso es nur unverheiratete Priester geben soll. Ich würde mich freuen, wenn man das offen diskutieren könnte", sagt Tschiggerl im Gespräch mit dem STANDARD.

Durch die Wahlmöglichkeit würde auch das Profil jener, die zölibatär leben wollen, gestärkt. "So entsteht der Eindruck, dass es alle nur auf sich nehmen." Allerdings wäre es Trugschluss zu glauben, dass damit Probleme im Umgang mit Sexualität gelöst würden.

Hochzeit vor Weihe

Aus zwölf Nationen stammen die derzeit 50 Seminaristen im Canisianum, dem einzigen international orientierten Seminar in Österreich. Je an die zehn kommen aus Indien, Korea und Afrika, zwei aus Österreich. Vier Ukrainer bereiten sich hier auch auf die Ehe vor: Sie gehören dem griechisch-katholischen Ritus an, der den Pflichtzölibat nicht kennt. Allerdings müssen sie sich vor der Weihe zwischen zölibatärer und nicht zölibaterer Lebensform entscheiden.

Bei katholischen Anwärtern sei der Zölibat "immer wieder ein Grund", sich gegen die Priesterweihe zu entscheiden, so Tschiggerl, aber häufig seien andere Motive, wie etwa eine andere berufliche Orientierung, "darunter gemischt".

Tschiggerl betont, dass "Umgang mit der eigenen Sexualität, psychosoziale Entwicklung, sexuelle Orientierung", während der Ausbildungszeit häufig Thema sind. Als Lehrinhalte im Einführungsjahr, dem Propädeutikum, das Tschiggerls Vorgänger Severin Leitner, nun Österreichs höchster Jesuit, im Jahr 2000 im Auftrag der Bischofskonferenz konzipiert hat und "das leider von St. Pölten nicht übernommen wurde". Aber auch bei wöchentlichen Gruppengesprächen und der Einzelbegleitung mit einem Spiritual werde über "Intimes" gesprochen. Auch darüber, "wie jemand zu seiner homosexuellen Orientierung stehen könne, oder "mit Selbstbefriedigung umgeht".

Dass des Anteil homosexuell orientierter Männer unter Priestern höher sei als sonst in der Gesellschaft, sei "wahrscheinlich", so Tschiggerl. Das mag auch mit den gesellschaftlichen Schwierigkeiten zu tun haben, Homosexualität zu leben. Problematisch fände er es jedoch, wenn sich dadurch in der Kirche eine "homosexuelle Subkultur" entwickeln würde. Als "sehr unglücklich" empfindet es der Leiter des Canisianums, dass in der aktuellen Debatte die sexuelle Orientierung mit Kinderpornographie gekoppelt wurde. (Benedikt Sauer/DER STANDARD; Printausgabe, 19.7.2004)