Bei aller transatlantischen Liebe - das tut den Franzosen schon weh, dass da ein Amerikaner daher radelt und als Erster sechsmal - noch dazu en suite - die Tour de France gewinnt. Und so schlägt Lance Armstrong, der sich am Sonntag in Paris von den anderen Rekordsiegern Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain abheben wird, nicht nur Zuneigung entgegen während der 91. Auflage der "Großen Schleife". Als er im Bergzeitfahren nach L'Alpe d'Huez die Konkurrenz deklassierte, musste er sich Buhrufe anhören und Mittelfinger ansehen. Umso mehr freute sich Armstrong über seinen 19. Etappensieg in Frankreich, den 20. legte der Mann im Gelben Trikot gestern drauf, morgen im Einzelzeitfahren kann gut und gern der 21. folgen.

Gegner und Fans respektieren und beneiden den 32-jährigen Texaner, seiner Erfolge und wohl auch seiner Geschichte wegen, die mit dazu beigetragen hat, dass bereits zwei Biografien ("Tour des Lebens", "Jede Sekunde zählt") zu Bestsellern wurden.

Armstrong war 1993 schon Straßenweltmeister, 1996 schockte ihn die Nachricht vom Hodenkrebs, seine Überlebenschancen lagen unter 50 Prozent, der Krebs breitete sich bis in die Lungen und an die Schädeldecke aus. Ein Jahr später saß Armstrong wieder im Sattel. Durch die Folgen der Chemotherapie hatte er abgenommen, das mehrte seine Chancen als Bergfahrer. 1999 gewann Armstrong erstmals in der Tour, seitdem gewinnt er in einer Tour. Von Dopinganschuldigungen blieb auch er nicht verschont, von positiven Proben aber sehr wohl, insofern erübrigt sich jede Diskussion.

Ohne seine Krankheit, sagt Armstrong, hätte er die Erfolge nicht geschafft. "Ich entdeckte ungeahnte Kräfte in mir. Als ich krank war, wollte ich nicht sterben. In einem Rennen will ich nicht verlieren. Sterben oder verlieren, das ist das Gleiche." Wobei er Privates all seinen Erfolgen überordnet. Als seine Frau Kristin wenige Monate nach seinem ersten Toursieg das erste Kind auf die Welt brachte, sagte er: "Die Geburt meines Sohnes nahm dem Sieg jede Bedeutung." Seinen mittlerweile drei Kindern ein guter Vater zu sein, ist ihm nach wie vor wichtiger als alles andere, trotz der Trennung von Kristin.

Nun ist Sheryl Crow die Frau an Armstrongs Seite, die Sängerin begleitet ihn - im Auto - auch durch Frankreich. Nach seinem Erfolg wird Armstrong dem US-Präsidenten seine Aufwartung machen, das ist Tradition, so hat er vor George W. Bush schon Bill Clinton kennen gelernt. Bush nennt er einen "Freund", obwohl er sich "links der Mitte" und "Sheryl sehr weit links" sieht. "Aber selbst Sheryl sagt, dass es schwer ist, Bush nicht zu mögen." Dennoch stellt sich die Frage, ob Armstrong noch einen dritten Präsidenten treffen wird. (Fritz Neumann, DER STANDARD Printausgabe 23. Juli 2004)