Christoph Schönborn, Kardinal der Erzdiözese Wien: Grundsätzlich geht es im christlichen Verständnis des Zölibats um zwei Aspekte, um die Christus-Nachfolge und um eine soziale Dimension: Seit den frühesten Tagen des Christentums wird darüber nachgedacht, was für die Gläubigen die Ehelosigkeit Jesu bedeutet. Damals wie heute hat diese Tatsache auch Anstoß erregt. Der Priester soll den Weg Jesu gehen; daher ist die lateinische Kirche der Auffassung, dass der Priester ehelos leben soll. Die Identifikation mit der Lebensweise Jesu ist aber die Grundvoraussetzung dafür, dass der Zölibat gelingt und nicht zu einer Verbiegung der Persönlichkeit führt. Wo der Zölibat im Sinne Jesu gelebt wird, ist er glaubwürdig. Immerhin gibt es in der Gesellschaft eine große Gruppe von Menschen, denen aus unterschiedlichen Gründen das Leben in der Ehe vorenthalten ist. Das wird oft als schmerzlich und leidvoll empfunden, kann aber auch positiv gelebt werden. Der Zölibat bedeutet auch einen Akt der Solidarität mit jenen Menschen, die nicht die ehelich-familären Lebensmöglichkeiten haben.

Egon Kapellari, Bischof der Diözese Graz-Seckau:
Der Zölibat ist auch heute eine große geistliche Kraft in der katholischen und in allen östlichen Kirchen. Die katholische Kirche muss mit Problemen, die sich aus dem Pflichtzölibat ergeben, ehrlich umgehen. Andererseits müsste sich unsere ganze westliche Gesellschaft radikaler fragen, ob ihr Umgang mit Sexualität wirklich ehrlich und im Ganzen human ist. Dies gilt auch besonders in Bezug auf Sexualmissbrauch von Kindern und Jugendlichen.

Michael Bünker, Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche:
"Jungfräulichkeit und Zölibat sind besser und seliger als die Ehe", wurde im Konzil von Trient festgestellt. Die evangelische Kirche sieht das aus zwei Gründen nicht so: Zum einen weil sie die Gleichbehandlung von Frauen praktiziert. Zum anderen wird die Sexualität nicht tabuisiert. Hinter dem Zölibat steht die Vorstellung, Sexualität mache unrein für die Begegnung mit dem Heiligen, was die Evangelischen vom Prinzip her nicht glauben. Auch Homosexualität ist nicht schlimm, das Schlimme ist die Heuchelei. Laut einer US-Studie haben von 1500 Priestern nur zwei bis sechs Prozent zu einer reifen Zölibatsform gefunden. Unterm Strich zeigt das eine Kluft zwischen Norm und Wirklichkeit. Deshalb muss die Diskussion um den Zölibat geführt werden.

Adolf Holl, Religionswissenschafter:
Bereits 1967 habe ich mich in einem Büchlein Homosexualität ist nicht pervers kritisch zur Regelung des Zölibats geäußert. Mittlerweile hat es das Coming-Out gegeben, die Überschwemmung der Nachrichten-Kanäle mit pornographischen Inhalten und damit die Aufdeckung der homosexuellen Orientierungen unter der katholischen Geistlichkeit. Wir haben derzeit einen Anteil von 30 Prozent homosexuell orientierter Geistlicher weltweit. Das ist sehr viel. Wie damit umzugehen sei, das weiß nicht einmal der Papst, fürchte ich. Die einzige Alternative zur gegenwärtigen Misere ist die Überstellung der priesterlichen Sexualität ins Privatleben.

Paul M. Zulehner, Pastoraltheologe an der Uni Wien:
Zölibat mag im Kontext einer Papageno-Kultur unsinnig sein. In einer Kultur, die noch Taminos hervorzubringen vermag, eröffnet er die Möglichkeit einer avantgardistischen Risikolebensform. Ein solcher kultureller Avantgardist lebt nicht beziehungslos. Er ist in Berührung mit sich selbst, seinen sexuellen und erotischen Begabungen. Er lässt seinen Eros in vielfältigen Beziehungen fließen: zu Männern wie zu Frauen. Die Kernfrage ist vielleicht eine andere: Stehen der Kirche für das Priesteramt morgen genügend solche risikobereite Avantgardisten zur Verfügung? Die Öffnung eines zusätzlichen Pools für Priester erfolgt dann aber nicht aus verstehbarem Mitleidsneid einer Papageno-Kultur, sondern aus pastoraler Verantwortung für die Eucharistiefähigkeit einer gläubigen Gemeinde. (Mehr dazu unter pastoral.univie.ac.at

Hans-Peter Hurka, Vorsitzender der Plattform "Wir sind Kirche":
Wer es fassen kann, der fasse es. "Wir sind Kirche" ist nicht für die Abschaffung des Zölibats, aber es sollte freigestellt werden. Nach dem Prinzip "viri pro bati" sollten bewährte verheiratete Menschen zum Priesteramt zugelassen werden, ebenso wie verheiratete Priester, die sich bewährt haben. Unbegreiflicherweise sind sie vom Priestertum ausgeschlossen. Hier ist nur der Zölibat hinderlich. Priester, die jetzt zölibatär ausgebildet wurden, entscheiden vielfach autokratisch und sind in der Kommunikation insbesondere mit anderen Meinungen behindert.

Mag. Maria Moser, feministische Theologin

Der Zölibat ist nur ein Teil eines größeren Problems: In der katholischen Kirche gibt es keine Auseinandersetzung darüber wie Sexualität gestaltet werden kann, sondern nur darüber wie sie reguliert wird. Das heißt es gibt neben dem Verbot in Form des Zölibats, nur eine Form Sexualität zu erleben und das ist in der Ehe. An dieser rigiden Regulierung liegt es, dass hier immer wieder Probleme auftauchen. Ein reifer Umgang mit Sexualität kann nicht über Regulierung hergestellt werden. (Anne Katrin Feßler, ALBUM, DER STANDARD, Printausgabe 24./25.7.2004)