Wir sind sehr früh losgezogen, den ersten Sonnenstrahlen voraus, und starten auf etwa 1300m bei der Materialseilbahn zum Rifugio Sòra ’l Sass. Der Steig, anfangs ziemlich steil, ist hervorragend markiert und in bestem Zustand. Auch die 50m Seilsicherung am Ende der ersten Hälfte des Weges. Nach eineinhalb Stunden erreichen wir das Rifugio (1588 m), umgrenzt von den steil aufragenden Spitzen der Mezzodi-Gruppe. Märchenhaft schön, aber wir wollen weiter, um noch vor der großen Mittagshitze am Belvedere (1964 m) zu sein.

Zu unseren Füßen breitet sich das Val Zoldana aus, links und rechts davon die markanten Bergklötze Monte Pelmo (3168 m) und Monte Civetta (3220 m). Namen wie San Sebastiano, Moiazza, Tamer, Gardesana, Pramper und Bosconero klingen geheimnisvoll und waren uns bislang unbekannt.

Spät am Abend sitzen wir noch auf Carlos’ Eis-Terrasse in Pecol und beobachten, daß es im Ort mehr Autos mit deutschen Nummerntafeln gibt als deutsche Urlauber. Zudem spricht der Gastwirt ein einwandfreies Deutsch, was in Italien – und wir sind in der Region Venetien schließlich mittendrin – durchaus nicht üblich ist. Des Rätsels Lösung: Die Leute aus dem Zoldo-Tal sind Speiseeis-Spezialisten, sie produzieren und verkaufen ihre runden Kugeln auf der ganzen Welt.

Am nächsten Morgen nehmen wir denselben Ausgangspunkt, aber einen anderen Weg. Gemütlich schlendern wir durch das Val Pramper, um die Cima di Pramper herum und steigen hinauf zum Rifugio Pramperet auf 1867 m. „Ihr kommt gerade recht, der Marillenkuchen ist fertig.“ Das Angebot der Hüttenwirtin Giovanna klingt verlockend. Ähnliche Überraschungen haben wir übrigens auch auf anderen Hütten erlebt.

Und noch etwas: Wir sind während unserer Touren südlich der Civetta- und Pelmo-Gruppe kaum einer Menschenseele begegnet. Bergführer Bruno weiß, daß sich der gesamte Bergtourismus an den steilen Wänden, den Eisen-und Wanderwegen rund um die Civetta und den Monte Pelmo abspielt.

Schöne Riesen

Dabei kommen diese beiden Bergkolosse erst aus der Entfernung so richtig zur Geltung. Es ist ein Hochgenuß, entlang dieser traumhaften Kulisse über saftige Blumenwiesen und gut präparierte Steige zu wandern, quasi in der ersten Reihe. Links und rechts ragen die kantigen Felsnadeln in den Himmel: Sasso di Bosconero, Sasso Toanella und die Rocchetta Alta di Bosconero. Die Geröllabfahrt erfordert ganze Konzentration, und wir sind froh, heil am Ende anzukommen. Unsere knurrenden Bergsteigermägen freuen sich auf frische Polenta mit Pastin und gebackenem Käse.

Am letzten Tag fahren wir die kurvenreiche Bergstraße hinauf zum Paß Duràn (1600m), durch Orte wie Pradel, Gavàz und Chiesa. Auch an diesem Morgen sind wir allein unterwegs und wandern zuerst auf dem Weg Nr. 536, _einer Variante des „Anello Zoldano“. Nach etwa einer Stunde kommen wir zu einer Abzweigung und gehen auf dem Viaz del Gengioni, dem ostseitigen Steig, auf halber Höhe entlang der Bergflanke bis auf 2100 m. Wir brauchen dafür insgesamt vier Stunden. Eine weitere Stunde erfordert der Aufstieg zur Cima Nord di San Sebastiano auf 2488 m Höhe. Diese Tour hat allerdings ein paar Zweierstellen, die absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordern. Und auch im Abstieg muß mit abschüssigen Gerölltrassen und ausgesetzten Stellen gerechnet werden. Aber der Anblick von Monte Pelmo, Civetta- und Moiazza-Gruppe läßt alle Anstrengung vergessen. (Der Standard, Printausgabe)