Salzburg - Was waren das doch - im gewissen Sinne - für opulente Zeiten: Die Berliner Mauer war keine Grenze mehr, die Abschottung des Ostens mutierte zu einer regen Reisetätigkeit der musizierenden Bewohner. Und die Klassikbranche empfing Gäste wie den Dirigenten Valery Gergiev mit Verträgen, die frei von Sparsamkeit waren und auch üppigste Opernaufnahmen ermöglichten.

Mittlerweile ist man Asketisches gewohnt. Auch Stars wie Christian Thielemann kommen kaum in den Genuss, ihre Opernideen aufnehmen zu können. Und wenn doch, dann nur live (Tristan). Auch für Gergiev sind die fetten CD-Jahre vorbei. Aber 1993, da ging es sich noch aus, da nahm er tatsächlich Sergej Prokofjews Krieg und Frieden (Philips) auf.

Wie großzügig man damals war, lässt sich auch am Bühneneindruck in der Felsenreitschule ermessen. Da stehen fast schon so viele Solisten bereit (wenn wir uns nicht verzählt haben, waren es 31) wie Chorsänger. Und damit keine Platzangst aufkommt, wird auch das Bühnenbild von King Arthur (die gebauten Arkaden) in die konzertante Arbeit szenisch sanft integriert.

Der Aufwand lohnt in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist der erste Teil der Oper eine subtile und mit poetischen und dramatischen Delikatessen ausgestattete Liebesgeschichte, was zur Begegnung mit Anna Netrebko und Dmitri Hvorostrovsky (souverän als Fürst Andrej) führt. Netrebko, deren Karriere in Salzburg bei Don Giovanni vor zwei Jahren explodierte und mittlerweile mit erheblichem Marketingaufwand in Popdimensionen gewuchtet wird, ist über alle Zweifel erhaben.

Netrebkos Qualität

Ihre lyrisch-dunkle Stimme, die in den Höhen, wo andere zu transpirieren beginnen, erst richtig und samtig aufblüht, ist jenes Fundament, auf dem die Russin auch Rollen gestaltend aktiv wird und tatsächlich für das porträtierte Innenleben der Figur (Natascha) ein bisschen Schönklang opfert.

Zum anderen lohnt dieser Aufwand vor allem aus dokumentarischen Gründen. Schließlich ist Krieg und Frieden auch ein Beispiel für den politisch-ideologischen Dienst, den Prokofjew zum Zweck einer emotionalen Mobilmachung erweisen wollte und musste. Entsprechend platt sind die Charaktere, auch der scheiternde Napoleon und der heldenhaft-ungebrochene Feldmarschall Kutusow dürfen nicht fehlen.

Und was man hier dem Volk an Phrasen in den Mund legt, zementiert den Eindruck von vertonter Kriegspropaganda, die heute eine Menge Haare zu Berge stehen lässt. Zweifellos leuchtet über all dem ein virtuoses Handwerk auf - ungeheuer vielschichtig die Farb-und Effektpalette, die hier ersonnen wurde. Auch dies kann den Eindruck nicht verhindern, dass es sich hierbei um ein auch dramaturgisch missglücktes Opernmonster handelt, von dem man eigentlich nur den ersten Teil (und die finale Abschiedsszene des Pärchens im martialischen zweiten Block) wirklich hören möchte.

Chor und Orchester des Mariinsky-Kirov-Theaters St. Petersburg geben sich farbprächtig, aber mitunter nicht ganz koordiniert. Gergiev pendelt zwischen Subtilität und Bombast, motiviert das Solistenensemble immerhin zu einer nahezu tadellosen vokalen Umsetzung. Auch der bedenklichen Momente. (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 8. 2004)