Keine "deutsche" Rechtschreibreform mehr! – Ein Manifest nationalliteratur jo seizn es kane daitschn?/ no oeso des samma wiaggli ned/ owa eia dichterschbrooch is do daitsch/ es heazzas jo – oder ned? (ernst jandl: stanzen.)

Die EU hat anlässlich des Beitritts Österreichs im so genannten "Protokoll Nr. 10" die österreichische Sprache – in Form einer Liste von 23 einzeln angeführten Wörtern (siehe Anhang) symbolisch anerkannt.

Die Unterzeichneten fordern die Bundesregierung auf,

1. dafür zu sorgen, dass die Liste der 23 offiziell von der EU anerkannten "österreichischen" Wörter erweitert und die Sprache der Bewohner und Bewohnerinnen dieses Landes nicht als eine bloße Vokabelsammlung verstanden wird;

2. keine weiteren finanziellen Mittel für die "deutsche Rechtschreibreform" zur Verfügung zu stellen – keine Gelder für eine Rücknahme, auch keine für eine Volksabstimmung über "alt" oder "neu"! -, sich auch in Zukunft an keiner "deutschen Rechtschreibreform" mehr zu beteiligen und die eingesparten Mittel für die Förderung eines österreichischen und europäischen Sprachbewusstseins zu verwenden:

3. alles daran zu setzen, das 1950 von Felix Hurdes und Ernst Fischer initiierte, mittlerweile in 39 Auflagen erschienene "Österreichische Wörterbuch" den zuständigen EU-Kanzleien in einer Weise bekannt zu machen, dass in Zukunft Skurrilitäten wie der so genannte "Marmeladenstreit" einfürallemal vermieden werden (Bei dem Versuch, für alle Länder der EU die Bezeichnung für "Marmelade" zu regeln wurde den Österreichern und Österreicherinnen zunächst "Konfitüre" vorgeschrieben, was erst nach tagelangen Schlagzeilengefechten und Interventionen auf höchster politischer Ebene gelöst werden konnte);

4. Untersuchungen durchführen zu lassen und Meinungsbildungsprozesse zu fördern, die der Frage nachgehen, ob die Bewohner und Bewohnerinnen dieses Landes ihre sprachlichen Eigenarten nicht nur sprechen, sondern auch schreiben wollen;

5. bei einem positiven Ergebnis dieser Untersuchung ein – aus Schriftstellern und Schriftstellerinnen, Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen sowie Vertretern und Vertreterinnen anderer sprachinteressierter Gruppen – zusammengesetztes Gremium mit der Entwicklung einer österreichischen Schriftsprache zu beauftragen; bei dieser Arbeit sollte darauf geachtet werden, aus den Fehlern der deutschen Rechtschreibreform zu lernen, den europäischen Kontext und die eigene multilinguale Vergangenheit in Betracht zu ziehen sowie insbesondere von Anfang an auf eine demokratische Vorgansweise Wert zu legen;

6. nach Vorliegen eines positiven Arbeitsergebnisses dieses Gremiums dafür zu sorgen, dass die in der Verfassung verankerte Formulierung "Die Staatssprache ist Deutsch" ersetzt wird durch a) "Die Staatssprache ist Österreichisch in einem europäischen Kontext" oder b) "Die Staatssprache ist Österreichisches Deutsch ..." oder c) "Die Staatssprachen sind Deutsch und Österreichisch ..."; sowie

7. schließlich alles dafür zu tun, die Sprache der Bewohner und Bewohnerinnen dieses Landes als eigenständige EU-Sprache durchzusetzen.

Wien, im August 2004

Von Beiried bis Weichseln

Das diesem Manifest zugrunde liegende "Protokoll Nr. 10" der Europäischen Union betreffend die Verwendung spezifisch österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache im Rahmen der EU hat folgenden Wortlaut:

Im Rahmen der Europäischen Union gilt folgendes:

1. Die in der österreichischen Rechtsordnung enthaltenen und im Anhang zu diesem Protokoll aufgelisteten spezifisch österreichischen Ausdrücke der deutschen Sprache haben den gleichen Status und dürfen mit der gleichen Rechtswirkung verwendet werden wie die in Deutschland verwendeten entsprechenden Ausdrücke, die im Anhang aufgeführt sind.

2. In der deutschen Sprachfassung neuer Rechtsakte werden die im Anhang genannten spezifisch österreichischen Ausdrücke den in Deutschland verwendeten entsprechenden Ausdrücken in geeigneter Form hinzugefügt.

(DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.8.2004)