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Der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann, ein Henze-Schüler, möchte nicht belehren, sondern als Musikverführer den Hörer auf seine Seite ziehen.

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Dem Klarinettisten und Komponisten Jörg Widmann ist heuer bei den Salzburger Festspielen ein Schwerpunkt gewidmet: Der 31-Jährige tritt dabei auch als Interpret eigener Werke in Erscheinung. Ein Gespräch über die Vorteile der "Doppelbelastung".


Salzburg - Eine der vornehmsten, aber auch selbstverständlichsten Aufgaben der Festspiele ist und bleibt es, die heutige Musik zu protegieren. Und dies auch in Tagen der minimierten Einschaltquoten. Doch in dieser Hinsicht scheint es mit der Musik leibhaftiger Komponisten bergauf zu gehen - und die beiden Composers in Residence dieser Saison, György Kurtág und Jörg Widmann, scheinen vitale Beweise zu sein, wie sich kompromisslos schöpferische Kunst (und Interpretationsinitiative) nicht länger in einem Klima der Ablehnung, sondern der interessierten, auch durchaus skeptischen Anhänglichkeit bewegen kann.

Wir trafen den 31-jährigen, u.a. von Henze geschulten, aus München gebürtigen Jörg Widmann an einem seiner arbeitsreichen Vormittage. In zahlreichen Konzerten werden seine Werke heuer aufgeführt - und als Klarinettist haftet dieser offenbar mild gestimmte, völlig uneitle Musikant für etliche seiner Werke sozusagen in blasender Authentizität. Die "Freunde der Salzburger Festspiele" hatten zu einer öffentlichen "Camerata"-Probe unter der Leitung von Christoph Poppen geladen. Widmann spielte Mozarts Klarinettenkonzert (KV 622) und nicht eben zur leichten Publikumsverköstigung gab es - prägnant, klar vom Orchester ausgeleuchtet - Widmanns Freie Stücke, deren Sätze lediglich durch Metronomangaben charakterisiert sind.

Widmann hatte noch einen Fototermin zu absolvieren, aber schon im nächsten Moment befand man sich in einem anregenden Gespräch, denn Widmann hält offenbar nicht viel von musikgesellschaftlichem Geplauder. Es ist ihm ein Bedürfnis, von den Möglichkeiten und Unverzichtbarkeiten eines komponierenden Interpreten zu berichten, von der Verantwortung des Interpreten eines Mozart-Konzertes, von den Mysterien des Atmens und des instrumentalen Singens.

Aus dem Nichts

Als Komponist, so verrät Widmann, lässt er sich auf keine Schule festlegen. Er vergleicht seine Art zu schreiben mit jener des Klarinettenspiels: Es muss sich etwas entfalten, aus dem Nichts entwickeln, einem Atem gleich, dessen Pulsieren den Fortgang eines ästhetischen Prozesses bestimme. Dabei müsse man seinen Grundsätzen treu bleiben, auch wenn man dem Publikum - wie etwa in den abstrakten Freien Stücken - anspruchsvolle Aufgaben vorlegen würde.

Aber letzten Endes möchte er nicht als Belehrender, sondern als Musikverführer wirksam sein, möchte den Hörer auf seine Seite ziehen. Widmann - als Klarinettendozent in Freiburg engagiert - hat wie kaum ein zweiter Komponist die Fähigkeit, sich in seinen Stücken zu äußern, sich kenntlich und erkenntlich zu zeigen, sozusagen akustische Duftmarken zu hinterlassen. Es teilt sich mit, dass dieser Mann Verantwortung fühlt, aber in seinem Tun spiegelt sich auch jenes Wohlgefühl, das dem Hörer Vertrauen in unbequeme Themen verleiht.

Man ist gewillt diesem Komponisten zu folgen, zumal er mit der Klarinette Außergewöhnliches leistet und schon von daher hohen Kredit genießt. Widmann sieht sich von daher durchaus in einer alten Tradition der sich selbst mit Werken versorgenden Komponisten in enger Nachbarschaft etwa zu Heinz Holliger. Und Widmann bestätigt, dass im Bereich der Blasinstrumente nicht alle Disziplinen so von kompositorischen Aktivitäten begünstigt wären, wie in den letzten Jahrzehnten die Flöte, die Oboe und nun - dank ihm - auch die Klarinette.

In den kommenden Tagen sind Widmann-Stücke am 21. und 24. August in Kammerkonzerten mit dem Österreichischen Ensemble für Neue Musik, bzw. mit dem Minguet Quartett zu hören - und bereits heute Abend wird seine Implosion für Orchester in einem Gastkonzert des RSO-Frankfurt im Kleinen Festspielhaus aufgeführt. Am 22. August spielt das RSO-Wien seinen Chor für Orchester - ein Werktitel von schöner Mehrdeutigkeit ganz im Sinne Widmanns Versprechen, zu locken und zu verführen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 8. 2004)