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Premier Tony Blair: Zeigt mit 4,8 Prozent Arbeitslosen eine bessere Statistik dank dem New Deal. Seit 1998 sind so 480.000 Junge zu Erwerbseinkommen gelangt.

Foto: AP/Adam Butler
Es dauert drei, vier Sekunden, dann spuckt der Rechner des Jobcentre Plus Stellenangebote aus. Vier freie Stellen. "Journalist", hatten wir als Wunsch angegeben, "vorzugsweise im Großraum London". Auf Platz vier flimmert "Night Porter" über den Schirm, was zunächst irritiert, doch beim Weiterklicken nicht mehr ganz so branchenfremd wirkt: Ein Medienunternehmen in Hounslow sucht einen Nachtportier.

Das beste Offert - 36.000 Euro im Jahr, 40 Stunden pro Woche - gilt leider nur für Bewerber, die neben Englisch noch Hindi, Punjabi und Gujarati sprechen.

Mindestlohn

Ein Fernsehkanal namens Eye TV, zugeschnitten auf Londons riesige indische Gemeinde, braucht einen Nachrichtenkoordinator. Eine Lokalzeitung in Dagenham möchte einen Sportredakteur einstellen, 15.000 bis 18.000 Euro pro Jahr, Arbeitszeit: täglich neun bis 18 Uhr. Eine Agentur in Maida Vale schließlich will einen Feature-Schreiber anheuern: "Es wird erwartet, dass Sie Stars aus dem Showbusiness interviewen." 6,75 Euro die Stunde, das ist der gesetzliche Mindestlohn. Dazu schreibt die Agentur noch, dass sie den Kandidaten nur nimmt, wenn er unter den New Deal fällt.

Im Klartext: Der Fiskus wird einen Teil des Lohns zahlen. New Deal, das ist der Schlüsselbegriff britischer Arbeitsmarktpolitik. 1998, kurz nach seinem ersten Wahlsieg, hat Premier Tony Blair das Paket eingeführt. Anfangs sollte es speziell 18- bis 24-Jährigen helfen, einen Job zu finden. Später wurde es auf andere Altersgruppen ausgedehnt, auf "25 plus" und "50 plus".

Nach den Spielregeln des New Deal muss sich ein Arbeitsloser von einem Berater des Jobzentrums betreuen lassen; Leitfaden ist ein individueller Aktionsplan. Versäumt er Termine, lässt er die Zügel schleifen, droht ihm die Kürzung oder gar Streichung staatlicher Beihilfen. Der "aktivierende Sozialstaat", so die Philosophie, soll Anreize mit Druck verbinden, Zuckerbrot und Peitsche also. Findet der Vermittler einen regulären Arbeitsplatz für seinen Klienten, kassiert er eine Erfolgsprämie.

Betriebsförderung

Scheitern die ersten Versuche, kann der Arbeitssuchende zwischen verschiedenen Ausbildungskursen wählen - die dürfen dann maximal zwölf Monate dauern. Alternativ ist eine befristete Tätigkeit im Krankenhaus, bei der Altenfürsorge oder beim Unkrautzupfen im Park möglich.

Am besten bewährt aber hat sich die Praxis, einstellungswilligen Betrieben einen Lohnzuschuss aus der Staatskasse zu zahlen. Je Woche sind das, maximal ein Jahr lang, 90 Euro. Ergänzt wird der New Deal durch den so genannten Working Tax Credit, der vor kurzem den Working Families Tax Credit ablöste. Danach erhält eine Familie, in der mindestens ein Elternteil arbeitet, monatlich 195 Euro als Steuergeschenk. Bei Behinderten, Alleinerziehenden und über 50-Jährigen steigt die Summe.

Unterm Strich sollen die Subventionen bewirken, dass auch schlecht bezahlte Arbeit einträglicher ist als Erwerbslosigkeit. Ausgezahlt werden sie übrigens vom Arbeitgeber, nicht vom Arbeitsamt, damit nicht der Eindruck entsteht, es handle sich um Almosen.

Zum Vergleich: Das durchschnittliche Arbeitslosengeld eines allein stehenden Mannes beläuft sich auf 358 Euro im Monat. "Wir sind wieder eine Arbeitsgesellschaft", freut sich Blair, und die Statistiken geben ihm Recht. Die Arbeitslosenquote von 4,8 Prozent ist die niedrigste seit Mitte der Siebzigerjahre. Über den New Deal kamen seit 1998 480.000 junge Leute in Lohn und Brot, die Jugendarbeitslosigkeit sank um 75 Prozent.

Dabei konnte es sich die Labour-Regierung leisten, mehr Geld in Beschäftigungsprogramme zu pumpen, ohne in den Augen der Unternehmer gleich als verschwenderisch zu gelten. Von ihren konservativen Vorgängern hatte sie einen deregulierten Arbeitsmarkt, minimalen Kündigungsschutz und geringe Lohnnebenkosten übernommen. Daran hält sie fest.

Die Abgabe etwa, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer an Arbeitslosen-, Renten- und Krankenkassen zahlen, beträgt höchstens 21,9 Prozent.

Jenseits der Statistik

Aber was ist mit denen, die sich gar nicht erst arbeitslos melden und deshalb in keiner Statistik auftauchen? Für englische Experten zählt die "social exclusion", die soziale Ausgrenzung, zu den akutesten Problemen der Insel. In Großstädten wie Liverpool, Manchester oder Sheffield, aber auch im boomenden London sind regelrechte Armuts-und Arbeitslosengettos entstanden. Wer dort lebt, wohnt im Council Estate, einem Block von Sozialwohnungen, und hat kaum Anreize wegzuziehen. Denn mitunter verliert man bei Abschluss eines Arbeitsvertrags die gestützte Bleibe und braucht ein neues Zuhause. Die höhere Miete, gerade im horrend überteuerten London, frisst leicht das gesamte Lohnplus auf. (Frank Herrmann aus London, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.8.2004)