Standard: Kennen Sie den Bericht des Rechnungshofes zur Causa Grasser?

Van der Bellen: Nein. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn der Rechnungshof zu der Schlussfolgerung kommt, dass eine Steuerpflicht vorliegt. Das war ein Konsens unter allen einigermaßen fachlich nicht Desorientierten. Überraschend war seinerzeit nur die Weißwäsche von Finanzstaatssekretär Alfred Finz.

Standard: Was bedeutet das?

Van der Bellen: Politisch heißt es, dass Grasser, Finz und auch Kanzler Schüssel wieder in der Bredouille stecken. Ein Finanzminister, der meint, alle müssen Steuern zahlen, nur er nicht, ist unerträglich.

Standard: Halten Sie die Rücktrittsforderung aufrecht?

Van der Bellen: Natürlich ist er längst rücktrittsreif.

Standard: Was wird bei der Sondersitzung passieren?

Van der Bellen: Da wird zunächst einmal der geplatzte Telekom-Deal im Vordergrund stehen und Grassers Missmanagement. Die Regierungsparteien werden ihm wieder die Mauer machen und vielleicht versuchen zu verzögern. Eine Möglichkeit wäre, dass Schüssel die neue Außenministerin präsentiert. Gespannt bin ich, wie die FPÖ ihren Spezi wieder zähneknirschend verteidigt.

Standard: Wie bewerten Sie den geplatzten Telekom-Deal?

Van der Bellen: Die Swisscom ist ein schweizerisches staatliches Unternehmen, da kann man hier wohl kaum ohne Augenzwinkern von Privatisierung sprechen. Die Frage ist, ob es dem langfristigen Interesse der Telekom dient, mit den Schweizern zusammenzugehen oder nicht. Ich habe den Eindruck, es wäre eine interessante Alternative gewesen für die Telekom Austria.

Standard: Die Regierung hat drei große Vorhaben: Budget, Pensions- und Gesundheitsreform. Was müsste geschehen, dass die Grünen mitgehen?

Van der Bellen: In allen Bereichen geht es zunächst darum, wieder Vertrauen aufzubauen und Glaubwürdigkeit herzustellen. Diese Regierung hat von Anfang an versäumt, den Bürgern und Bürgerinnen zu erklären, was das Problem ist und wie man es löst. Das galt schon bei der Pensionskürzung letztes Jahr. Mittlerweile kennt sich keiner mehr aus. Und sie hat es geschafft, dass insbesondere junge Leute nicht mehr daran glauben, dass sie irgendeine Pension bekommen. Das ist ja schon einmal eine große Aufgabe, den Leuten zu sagen, dass man auch nicht das Blaue vom Himmel versprechen kann. Uns würden auch Fehler passieren. Was uns aber deutlich von der Regierung unterscheidet, ist, dass wir den Schwerpunkt auf Existenzsicherung legen und nicht auf das Versprechen, 80 Prozent von irgendwas zu erhalten. Das kann niemand versprechen. Wir wollen eine Grundsicherung für alle.

Standard: Mit wem geht das am ehesten? Mit der SPÖ, wenn Sie die Regierungsparteien so kritisieren?

Van der Bellen: Sie wollen mich aufs Glatteis führen. Die Grünen tun gut daran, sich aus diesen ewigen Farbenspielen herauszuhalten und ihre eigene Position zu vertreten. Ich weiß nicht, was die ÖVP nach der Wahl sagen wird, wenn sie sich nicht mehr an die FPÖ gebunden fühlt. Ich weiß auch nicht, was die SPÖ als Regierungspartei sagen würde. Die SPÖ als Oppositionspartei ist von Populismus auch nicht frei. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.8.2004)