Das unter der Regierung von Bruno Kreisky im Jahr 1974 errichtete Mahnmal im ehemaligen Anhaltelager Wöllersdorf.

Foto: Der STANDARD/Otto Bartel
Nach der Ausschaltung des Parlaments und dem Verbot von NSDAP, KPÖ und Schutzbund im Frühsommer 1933 füllten sich die österreichischen Gefängnisse mit "Verwaltungsstrafgefangenen", denen politische Delikte zur Last gelegt worden waren. Der Tiroler Sicherheitsdirektor und Heimwehrführer Richard Steidle forderte deshalb von Sicherheitsminister Emil Fey die Errichtung von Anhaltelagern.

Der Ministerrat folgte - gegen Protest der Landbund-Regierungsmitglieder - diesem Anliegen. Am 1. September 1933 beschloss die Regierung Dollfuß eine Verordnung über "die Verhaltung sicherheitsgefährdender Personen zum Aufenthalt in einem bestimmten Ort oder Gebiet". Der Landbund verließ die Koalition, Fey avancierte zum Vizekanzler.

Das erste und größte Anhaltelager wurde auf dem Gelände der ehemaligen k.u.k. Munitionsfabrik im niederösterreichischen Wöllersdorf errichtet; weitere kleinere Lager folgten, so in Kaisersteinbruch (Burgenland), Graz-Messendorf und Nauders (Tirol). Im Oktober 1933 bezogen die ersten Häftlinge die neue "Einrichtung" in Wöllersdorf. Es waren neun Nazis, unter ihnen eine Frau, und ein Kommunist.

Tausende im Lager

Die "große Zeit" von Wöllersdorf begann nach den Ereignissen des 12. Februar 1934. Hunderte Schutzbündler und sozialdemokratische Funktionäre füllten das Lager. Am 1. Mai 1934 befanden sich 831 politische Gefangene innerhalb des Stacheldrahtes - 508 Sozialdemokraten und Kommunisten sowie 323 Nationalsozialisten. Nach dem Nazi-Juliputsch füllte sich das Anhaltelager mit Tausenden Neuankömmlingen - im Oktober 1934 war mit 5302 Männern der Höchststand erreicht.

Der Name des unschuldigen Orts, Wöllersdorf, wurde bei den illegalen Oppositionellen von Links und Rechts zum Inbegriff für die Willkürherrschaft des Austrofaschismus, oder, wie die Nazis sagten, des "Systems". Zugleich aber erlaubte die massenhafte Gefangenschaft rege Konspiration, auch innerhalb des, nachts mit Scheinwerfern beleuchteten, Stacheldrahts. Gelegentlich gelang einzelnen Inhaftierten - so den Kommunisten Friedl Fürnberg und Franz Honner - mit der Hilfe von Parteifreunden "draußen" - die Flucht nach Moskau.

Die anfängliche Leitung des Lagers war der Heimwehr zu lasch. Daraufhin festigte der Gendarmerie-Generalmajor Emanuel Baron von Stillfried und Rathenitz mit einem militärisch-straffen Regiment die seiner Meinung nach gelockerte Disziplin und ließ dabei gelegentlich auch die Gummiknüppel sprechen.

Für die Bewachung wurden neben der Gendarmerie anfänglich auch Mitglieder des "Schutzkorps" (Heimwehr und Sturmscharen) eingesetzt, was jedoch zu Beschwerden über Schikanen führte, sodass jene schließlich vom Bundesheer abgelöst wurden. Für die zahlreichen Erkrankten wurde eine "Marodenabteilung" eingerichtet. Die Rattenplage wurde mit wenig Erfolg bekämpft. Den Angehaltenen sollte pro Tag ein Betrag von sechs Schilling (nach heutiger Kaufkraft rund 8,80 Euro) abgezogen werden (was bei den vielen Arbeitslosen eher illusorisch war); Renten wurden zur Gänze einbehalten.

Nach einer Amnestie im Jahre 1936 verringerte sich die Zahl der Angehaltenen auf rund 500. Wer entlassen wurde, musste eine Loyalitätserklärung unterschreiben und unterlag der ständigen Meldepflicht bei der Polizei. Nach der Unterredung von Schuschnigg mit Hitler im Februar 1938 wurde das Lager aufgelöst.

Im März 1938 wurden die Baracken vorübergehend von der SS für die Inhaftierung von VF-Funktionären und Linken verwendet. Dann verbrannten die Nazis unter Propagandaaufwand die Hauptbaracke und gaben Wöllersdorf den Beinamen "Trutzdorf". Die österreichischen Gefangenen der SS kamen nach Dachau, und wenige Monate später wurde das Konzentrationslager Mauthausen errichtet. Mit dem Grauen von Hitlers KZ lässt sich Wöllersdorf, so bitter es für die dort Eingewiesenen war, nicht vergleichen. Aber es bleibt ein Schandfleck des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes. (Manfred Scheuch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29. 8. 2004)