Seit einigen Wochen zieht die Debatte auch bei uns ihre Kreise: Die Arbeitszeiten in den Betrieben sollten wieder verlängert werden, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Lohnkosten (pro Stunde) seien zu hoch, und weil es noch immer als unschicklich (und wohl auch nicht durchsetzbar) gilt, direkt eine Lohnkürzung zu fordern, versucht man es durch die Hintertür: mehr arbeiten zum gleichen (oder nur wenig höheren) Lohn bedeutet, pro Stunde weniger zu verdienen. Der neue IV-Präsident Veit Sorger hat diese Hintertür aufgestoßen, Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein möchte sie durchschreiten - wenn auch nicht ohne die Sozialpartner.

Die SPÖ fordert hingegen in ihrem dieser Tage vorgeleg- ten Wirtschaftsprogrammentwurf eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, die für ein - teilweise vom Staat finanziertes - "lebensbegleitendes Lernen" genutzt werden solle. Ähnliches hört man auch von Gewerkschaften und Arbeiterkammer. Aber: Was bringen längere/kürzere Arbeitszeiten? Und gibt es Alternativen?

Fataler Kreislauf

Die Arbeitslosigkeit steigt, weil der technische und organisatorische Fortschritt in den Unternehmen immer weiter neue Rationalisierungsmöglichkeiten schafft und im Vergleich dazu nicht genügend neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Technischer ausgedrückt: Das Wirtschaftswachstum, das neue Arbeitsplätze schaffen könnte, hält mit dem Wachstum der Produktivität nicht mit - was dazu führt, dass immer weniger Leute immer mehr Arbeit haben (auch im Sinne immer intensiverer Arbeit) und damit immer mehr produzieren könn(t)en. Aber: Alle zusammen verdienen nicht genug, um das zu kaufen, was wenige produzieren.

Das gilt nicht nur innerhalb Europas/Deutschlands/Österreichs, sondern auch global: Wachstum und Reichtum beschränken sich auf ein rundes Viertel der Weltbevölkerung. Die anderen drei Viertel leben in Armut und haben kaum Möglichkeiten, an der Erwirtschaftung von Wachstum und Wohlstand zu partizipieren.

Armut und Unsicherheit (zum Beispiel die Zukunft des eigenen Arbeitsplatzes betreffend) halten die Menschen aber auch davon ab, mehr zu konsumieren. Die Wirtschaft stagniert - was wieder Arbeitsplätze vernichtet und neue nicht entstehen lässt. Internationale Experten und Organisationen, die sich der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums verschrieben haben (von regionaler und nationaler Wirtschaftspolitik über die europäische Lissabon-Strategie, die Wachstum und Arbeitsplätze zurückbringen soll, bis hin zu internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank), haben bisher noch kein Rezept zur Wiederankurbelung der Wirtschaft gefunden. Abgesehen davon bedeutet Wirtschaftswachstum immer auch mehr Verkehr, mehr Energieverbrauch, Abfälle, Emissionen, kurz: steigenden Umweltverbrauch.

Steuer ökologisieren

Haben wir also nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Arbeitslosigkeit und Armut oder Umweltzerstörung? Kann man die miteinander zusammenhängenden Probleme nicht auch anders betrachten? Ja, man kann! Dabei ist den Befürwortern längerer Arbeitszeiten durchaus zuzugestehen, dass hohe Kosten der Beschäftigung mit dazu beitragen, dass heute wesentlich weniger Arbeitsplätze geschaffen werden, als für eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung nötig wäre. Diese hohen Kosten haben aber erst in zweiter Linie damit zu tun, dass Arbeitnehmer bei uns relativ gut verdienen.

Mehr als die Hälfte dieser Kosten machen heute Steuern und Sozialabgaben aus. Sie verteuern die Arbeit, während der Verbrauch von Umwelt und Energie zum Teil künstlich verbilligt wird. Denken wir nur an die Subvention des Verkehrs über steuerfreies Flugbenzin und die Verlagerung von Umweltlasten in die Dritte Welt. Dies muss logischerweise zu hoher Arbeitslosigkeit und übermäßigem Naturverbrauch führen.

Eigentlich ist es angesichts der Gewichtigkeit dieser Probleme unfassbar, dass die Politik keine geeigneten Strategien findet, dieser Misere entgegenzuwirken. Laut internationalen Studien gibt es nämlich erhebliche Potenziale, bei gegebenem Wohlstand den dafür notwendigen Materialverbrauch deutlich zu reduzieren. Und wirtschaftspolitische Maßnahmen zugunsten einer "dematerialisierten" Produktion von Gütern und Dienstleistungen könnten diesen Prozess noch beschleunigen.

Eine andere Finanzierung der nötigen Staatsaufgaben - vom Bildungswesen über innere Sicherheit bis hin zu Forschung und Entwicklung - könnte daher in doppeltem Maße helfen, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung als zusammenhängende Probleme wahrzunehmen und gemeinsam zu lösen.

Dazu gehört ohne Zweifel eine deutliche Entlastung der Arbeitseinkommen von Steuern und Sozialabgaben bei gleichzeitiger Mehrbelastung des Verbrauchs von Energie und Umweltgütern. Eine Verbreiterung der Steuereinnahmen sollte also nicht nur - wie von der SPÖ gefordert - Kapital- und Vermögensbesteuerung einschließen, sondern insbesondere eine Besteuerung des bisher weit gehend kostenlosen Produktionsfaktors Umwelt. Erste zaghafte Schritte in diese Richtung wurden dazu in einigen Ländern Europas schon gesetzt. Sie reichen aber bei weitem nicht aus.

Bloße Systemkosmetik

So richtig also das Argument ist, dass niedrigere Lohnkosten zu mehr Arbeitsplätzen führen, so kontraproduktiv ist der oft im selben Atemzug propagierte Vorschlag, die Arbeitszeiten wieder zu erhöhen (auf 40 und mehr Stunden), weil er just in die falsche Richtung führt: Die Ungleichheiten zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen würden eher noch verschärft; jenen, die Arbeit haben, wird noch mehr Arbeit abverlangt, während neue Jobs im Ausmaß der zusätzlich geleisteten Stunden überflüssig werden.

Gelänge es hingegen, die Arbeit auf mehr Köpfe zu verteilen - was durchaus nicht in jedem Fall mit Lohnausgleich verbunden sein müsste -, wäre vielen Menschen geholfen: Die einen hätten künftig mehr Zeit für andere Aktivitäten, für ihre Familie - und für sich selbst. Während die anderen, die einen neuen Job erhalten oder deren Jobs sicherer werden, mit ihrem Einkommen vermutlich auch wieder Güter nachfragen werden, die sie sich heute nicht leisten können (oder wollen) - bei gleichzeitiger Umweltentlastung = mehr Lebensqualität.

Sicher gibt es in diesem Zusammenhang noch viele Fragen zu klären - etwa die, wie eine solche Reform auf einzelne Branchen oder Bevölkerungsgruppen wirkt. Es wäre aber die Aufgabe der dafür zuständigen Wirtschafts-, Arbeits-, Sozial-, und Umweltminister, solch umfassende Ansätze unvoreingenommen zu untersuchen und öffentlich zu diskutieren - anstatt eine Rückkehr zu den Verhältnissen früherer Jahrzehnte als Allheilmittel zu propagieren.

Generell setzt der Mainstream der gegenwärtigen Politik allerdings nicht auf grundlegende Reformen mit langfristigen Perspektiven, sondern auf bloße Systemkosmetik, die bestenfalls die Interessen der eigenen - wie auch immer gefärbten - Klientel bedient, in der Hoffnung, beim nächsten Wahltag dafür entsprechend "belohnt" zu werden. Das mag parteistrategisch sinnvoll sein - demokratiepolitisch verantwortungsvoll ist es nicht. (Friedrich Hinterberger, Harald Hutterer* DER STANDARD Printasugabe 31.08.2004)