Die Geschwindigkeit, mit der SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer zurückruderte, war rekordverdächtig: Nein, es gebe keine Pläne, die Steuer auf Zinserträge zu erhöhen. "Das Thema ist absolut tabu." Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter hatte es kurz zuvor gewagt, die "ungerechte Pauschalbesteuerung" der Zinserträge zu thematisieren. Worauf die Krone sogleich in Kampfrhetorik verfiel und von einer "Sparbuchsteuer" sprach.

Die SPÖ auf Raubzug im Wäschekasten bei den Witwen und Waisen und eine Krone, die das genüsslich in einer neuen Kampagne aufarbeitet - da wurde dem SPÖ-Chef vermutlich ganz schwarz vor den Augen.

Dabei stimmt die Richtung - ob sie populär ist oder nicht. Wenn vom Wirtschaftsbund bis hin zu Prinzhorn kritisiert wird, dass die SPÖ mit ihrem neuen Wirtschaftsprogramm in die "verteilungspolitische Mottenkiste" greift, wird übersehen, dass die Verteilungspolitik auch jetzt bereits läuft - und zwar in eine Richtung, die für Österreichs Wirtschaft alles andere als günstig ist.

So ist nach einer Untersuchung des Wifo das Arbeitnehmer-Nettoeinkommen inflationsbereinigt von 1444 Euro im Jahr 1992 auf heute 1370 Euro gesunken, und das unterste Einkommensfünftel verdient jetzt auch brutto um fünf Prozent weniger als damals - während das oberste Fünftel um 20 Prozent mehr verdient. Mit anderen Worten: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf. Starken Anteil daran hat auch die Vermögensbesteuerung: Sie ist in Österreich deutlich unter dem Schnitt aller OECD-Staaten. 1979 kamen 27 Prozent des gesamten Volkseinkommens aus Kapitalgewinnen - 2003 waren es 42 Prozent. Die steuerliche Bevorzugung von Kapitalerträgen gegenüber Arbeit führt auch dazu, dass Unternehmen immer öfter ihre Erträge an den Finanzmärkten investieren und nicht mehr in reale Projekte und damit Arbeitsplätze.

Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass die SPÖ die natürliche Umverteilungsfunktion der Zinsen (von den ärmeren und jüngeren Bevölkerungsschichten, die Kredite aufnehmen müssen und Zinsen zahlen, zu den Reicheren, Älteren, die das Geld als Zinsgutschriften am Sparbuch bekommen) mittels Steuer mildern will; und es ist auch gut, dass sie sich die Struktur der Steuereinnahmen ansieht.

Denn mittlerweile kommen zwei Drittel aller Steuereinnahmen aus der Lohn- und aus der Umsatzsteuer, während auf die Kapitalertragsteuer drei Prozent, auf Vermögenssteuern gerade einmal ein Prozent und die Körperschaftsteuer acht Prozent entfallen. Ein - auch im internationalen Vergleich - schädliches Ungleichgewicht. Schade, dass die SPÖ hier nicht den Mut aufbringt, klare Positionen zu beziehen, sind doch die Ansätze im Vergleich zum Programm von Schwarz-Blau zumindest ein Hoffnungsschimmer. Mehr aber nicht.

Denn wie bei den Steuern sinnvoll umgeschichtet werden könnte, erklärt das Programm nicht, es bleibt ziemlich unpräzis und schwammig. So schwammig, dass ein Richtungswechsel kaum auffällt, mit dem sich die SPÖ auf sehr dünnes Eis begibt: Galt bisher immer nur eine aufkommensneutrale Reform der Steuerstrukturen als Ziel, so sind nun plötzlich auch reine Steuererhöhungen möglich.

Und das ist bei einer Steuer-und Abgabenquote von etwa 44 bis 45 Prozent in den vergangenen Jahren doch ein ziemlich starkes Stück. Eine Anhebung der Zinsertragsteuer gemäß der individuellen Progression und der lachhaft niedrigen Grundsteuern zumindest auf OECD-Niveau sind nur dann eine gute Sache, wenn im Gegenzug Arbeit entlastet wird - Letzteres ist notwendig, will Österreich nicht eine Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten erleben. Denn die Herausforderung der kommenden Jahre ist die Arbeitslosigkeit.

Mit den prognostizierten Wachstumsraten von maximal zwei Prozent entstehen nämlich keine neuen Jobs - es sei denn, die Rahmenbedingungen werden verbessert. Es ist die Frage, ob die SPÖ ihre richtigen Positionen vertritt - oder sich weiter fürchtet. (DER STANDARD Printuasgabe 31.08.2004)