Angelegt war die Nationalratsdebatte als Abrechnung der SPÖ mit der Wirtschaftspolitik der schwarz-blauen Regierung. Geworden ist daraus der Auftakt zu einem Zwischenwahlkampf Wolfgang Schüssels. Schuld daran ist die Führung der Sozialdemokratie selbst. Indem sie ein Wirtschaftsprogramm vorlegte, das Steuererhöhungen vorsieht, lieferte sie dem Regierungschef einen Slogan, den Alfred Gusenbauer nicht mehr loswird. Klubobmann Wilhelm Molterer hält im Parlament fast jedes Mal eine Wahlrede, diesmal war es bereits der Prototyp für die Kampagne 2006. Oder für früher. Zwar gelang es dem Finanzminister nicht, die mit Zeitungszitaten gepflasterten Argumente Gusenbauers zu entkräften. Denn der hielt sich mit Polemik zurück. Rhetorisch aber gelang es Karl- Heinz Grasser, beklatscht von seinen Fans, dem SPÖ-Chef allemal Paroli zu bieten. Bis hin zur wirtschaftspolitischen Skurrilität. Für Grasser ist jede Veräußerung von Staatseigentum eine "Privatisierung". Selbst dann, wenn es sich beim "Investor" um die Schweiz handelt. Der Verkauf wird dann "Verschmelzung" genannt, und Österreich bleibt "federführend". Mit einem kleinen Unterschied: Eine Privatisierung ist es vor allem dann, wenn sie von Schwarz-Blau betrieben wird, ein Verkauf, wenn das rote Wien - wie im Fall Bank Austria - das Sagen hatte. Wo es keinen Unterschied gibt: Grassers Rhetorik ist dieselbe wie die von Klima & Co. Nur die Schlüsselvokabeln werden ausgetauscht. Dasselbe polemische Spiel betreibt Wilhelm Molterer. Wie Grasser entwirft er riesige Zahlengebäude, um zu beweisen, wie viel sozialdemokratische Finanzminister in die untergehende Verstaatlichte gesteckt haben. Er unterschlägt die einstige Zustimmung der ÖVP zur "Erhaltung der Arbeitsplätze", die heute von genau der gleichen Partei als "Verschwendung" gegeißelt wird. Molterer müsste, um bei der Wahrheit zu bleiben, seine eigene Partei attackieren: Hunderte Millionen Schilling sind allein in den 80er-Jahren unter schwarzen Chefs der Steiermark und Oberösterreichs jährlich in die Linzer Betriebe und in jene der Mur-Mürz-Furche geflossen. Es ist ein böses Spiel, das mit den Wählerinnen und Wählern getrieben wird. Täuschen und tarnen. Vertauschen und vertuschen. "Sagen wir es ganz ehrlich . . ." So beginnen Politikerreden oft. Was folgt, sind genauso oft Lügen über Lügen. Agierte die SPÖ nicht in genau derselben Tradition, man müsste ihr dankbar sein, dass sie aus ihrer Sicht "ganz ehrlich" sagt: Ohne Steuererhöhungen wird es nicht gehen. Das freilich ist eine unpopuläre Ehrlichkeit und deshalb ein gefundenes Fressen für die Koalitionsregierung. Seit gestern steht fest: Die ÖVP geht mit dem Schüssel- Grasser-Kurs in den nächsten Wahlkampf und malt (trotz der völlig unterschiedlichen Situationen) das Schreckgespenst Rot-Grün an die Wand. Alle Versuche, den Finanzminister zu kriminalisieren, werden scheitern, weil es sich höchstwahrscheinlich nicht um den Bruch von Gesetzen handelt, sondern um schwer fassbaren Machtmissbrauch. Der stört viele in der Opposition wahrscheinlich ohnehin nur deshalb, weil sie nicht in der Regierung sind. Tatsächlich ist das Unrechtsgefühl geschwunden, der Drang zur Bereicherung gestiegen. Und was für viele Männer früher (und heute noch) ein Orden war, ist für sie heute (und zunehmend morgen) eine gesponserte Homepage mit Selbstdarstellung. Sogar der Bundeskanzler, der gerne und strikt traditionelle Moralpositionen vertritt, sagt über Karl-Heinz Grasser: "Er macht alles richtig." Vielleicht geht der ganz geheim am Sonntagvormittag auch in die Kirche. Womit er sich zur Krönung seiner Karriere in den Schoß der Magna Mater Austriae begäbe. Manche Marken haben geniale Schöpfer. Und manchen Leuten wird vieles nachgesehen. Wolfgang Schüssel ist auf dem Weg, seine Kanzlerschaft auf ein Jahrzehnt auszudehnen. Die SPÖ wird ihn daran kaum noch hindern können. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2004)