Steigende Ansprüche der Bürger an das Gesundheitssystem und die Wechselwirkung zwischen dem medizinisch-technischen Fortschritt und der Lebenserwartung lassen den Gesundheitsaufwand in allen Industrieländern überdurchschnittlich expandieren. Will die Politik das Defizit der Kassen durch Ausgabenkürzungen senken, so kann dies nachhaltig nur dadurch geschehen, dass man schrittweise (besonders teure) Therapien aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen entfernt und so deren Kosten wieder "individualisiert". Am Ende einer solchen Entwicklung stünde ein Gesundheitssystem nach US-Vorbild, das nicht nur weniger sozial, sondern auch ineffizienter ist als in Europa.

Keine Partei in Österreich ist für diesen "Sparweg", also verbleibt nur die Option höherer Einnahmen: entweder durch Selbstbehalte und damit von den Kranken oder durch Beitragserhöhungen und damit von allen Versicherten.

Selbstbehalte haben drei Effekte: Erstens können unnötige Beanspruchungen des Gesundheitssystems vermieden werden, doch dürfte dies wegen der schon bestehenden Krankenschein- und Rezeptgebühr kaum ins Gewicht fallen. Zweitens werden zweckmäßige Behandlungen "im Zweifelsfall" unterlassen, um den Selbstbehalt nicht zahlen zu müssen. Drittens wird das Einkommen jener Personen geschmälert, welche im Krankheitsfall eine Behandlung in Anspruch nehmen.

Selbstbehalte verschlechtern deshalb die soziale Lage gerade jener am stärksten, welche relativ häufig krank werden oder Unfälle haben und gleichzeitig relativ wenig verdienen wie einkommensschwache Pensionisten- und Arbeiterhaushalte.

Mildert man diese Problematik durch eine nur geringe Kostenbeteiligung der Patienten, so bleibt auch der Ertrag klein. Nimmt man bestimmte Personengruppen (Bezieher von Ausgleichszulagen) oder Behandlungsformen (Spitalsaufenthalte) aus, so ergibt sich nicht nur ein höherer Aufwand für die Administration, sondern auch für unnötige Gesundheitsleistungen (wenn sich jemand zur Vermeidung des Selbstbehalts an ein Krankenhaus überweisen lässt statt an einen Facharzt).

Führt man eine jährliche Obergrenze des Selbstbehalts von 3000 Schilling ein (wie zuletzt von der ÖVP vorgeschlagen), so werden Haushalte mit zwei Erwachsenen, hoher Krankheitshäufigkeit und geringem Einkommen (etwa Pensionisten) sehr erheblich belastet, nämlich mit 6000 Schilling.

Gesunde Lastenverteilung

Eine andere Variante zur Einnahmensteigerung der Krankenkassen hat Staatssekretär Waneck in die Debatte eingebracht: die Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage. Demnach würden etwa Unselbstständige mit einem Monatseinkommen von mehr als 43.200 Schilling brutto Beiträge leisten, welche mit ihrem Einkommen steigen (derzeit bleiben sie konstant, lediglich bis zur Höchstbemessungsgrundlage wachsen sie proportional zum Einkommen).

Eine solche Maßnahme würden allein die Einnahmen der Gebietskrankenkassen um etwa acht Milliarden Schilling erhöhen und damit so stark, dass man damit nicht nur ihr Defizit beseitigen, sondern zusätzlich den Beitragssatz für Arbeiter auf jenen der Angestellten absenken könnte (von 7,9 auf 6,9 Prozent).

Dies scheint deshalb zweckmäßig, weil damit die Lohnnebenkosten gerade jener Gruppe reduziert würden, deren Jobchancen davon ungleich stärker abhängen als jene der Gut- und Bestverdienenden.

Der wichtigste Grund, warum eine Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage so hohe Zusatzeinnahmen brächte, besteht in der ungleichen Einkommensverteilung: Zwar verdienen nur zehn Prozent der Unselbstständigen mehr als 42.300 S, auf sie entfallen aber fast 30 Prozent der Lohnsumme (ihr monatliches Bruttoeinkommen liegt im Durchschnitt bei 70.000 S).

Diese Finanzierungsvariante entspricht dem Solidaritätsprinzip der Sozialversicherung: Nicht jene, die relativ schlechte Jobs haben, häufiger erkranken und weniger verdienen, sanieren die Krankenkassen, sondern jene, denen es in wirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht besser geht.

Dieses Prinzip ist im Bereich der öffentlichen Pensionsversicherung ("erste Säule") in der Schweiz schon lange realisiert: Dort zahlen alle einen fixen Prozentsatz vom Einkommen ohne Obergrenze, obwohl der Pensionsanspruch selbst mit zirka 17.000 S begrenzt ist.

Für das "Solidarmodell" einer Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage sprechen nicht nur soziale, sondern auch ökonomische Gründe. Erstens ermöglicht es eine nachhaltige Verbesserung der Finanzierungsbasis der Krankenkassen, insbesondere deshalb, weil die zunehmende Ungleichheit in der Einkommensverteilung nicht zu ihren Lasten ginge. Zweitens würden Konsumnachfrage und Wirtschaftswachstum dadurch viel weniger gedämpft, als wenn die Finanzierungslücke durch Selbstbehalte und damit durch Beiträge der Krankgewordenen geschlossen wird (Letztere würden ihren Konsum als Folge von Selbstbehalten stärker einschränken müssen als die Gut-verdienenden als Folge höherer Beiträge).

In politischer Hinsicht sollte ein solches Modell für die FPÖ deshalb attraktiv sein, weil es im Gegensatz zu Selbstbehalten die "kleinen Leute" schont. Der ÖVP könnte es wiederum dazu dienen, ihr Image als christliche Partei in Erinnerung zu rufen: Einerseits ist dieses im bisherigen Regierungsprogramm nicht leicht zu erkennen, andererseits wäre eine "christliche Profilierung" durch eine solidarische Verteilung der finanziellen Lasten des Krankseins besonders überzeugend.

Stephan Schulmeister ist Wirtschaftsforscher in Wien.