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Viel hat er gesehen in seinem ereignisreichen Leben. Dass aber speziell Kinder als Geiseln in einer Terrorattacke herhalten müssen, ist selbst für den erfahrenen Moskauer Kinderarzt Professor Leonid Roschal neu. Roschal zögert nicht, wenn es um das Wohl der Kinder geht. Dass er bei ihnen und ihren Eltern hohe Popularität genießt, ist der mittlerweile 71-Jährige gewöhnt. Dass er auch bei den Terroristen in Russland gefragt ist, muss ihm als Verteidiger des Lebens zutiefst zuwider sein. Aber er geht im Unterschied zu manchen Politikern in das Gebäude des Grauens, wenn man ihn darum bittet.

Als vor zwei Jahren tschetschenische Terroristen 800 Geiseln im Moskauer Musicaltheater Nordost in ihrer Gewalt hatten, schaffte er es, einige Male in den Theatersaal zu gelangen, befreite einige Kinder, überbrachte Medikamente und leistete den Kranken und Verwundeten im Saal erste Hilfe. Als "Helden der Nation" ehrte ihn später der Staat, der bei der Befreiung der Geiseln selber eine Desorganisation der ärztlichen Hilfe sondergleichen hinlegte. Jetzt haben ihn die Geiselnehmer in der nordossetischen Schule als Verhandler angefordert.

In Notsituationen kennt sich Roschal, der 1933 in der Stadt Livna im südrussischen Gebiet Orlow geboren wurde, aus. Kaum eine Katastrophengegend, wo er mit der Hilfe für Kinder nicht zugegen war. Um effizienter zu arbeiten, gründete er 1988 das Internationale Komitee der Kinderhilfe bei Katastrophen und Kriegen im Rahmen der medizinischen Hilfsorganisation Wadem. Und fuhr zum Einsatz: 1988 beim Erdbeben in Armenien, 1990 während der Revolution in Rumänien, 1991 beim Golfkrieg, bei den Kriegen in Jugoslawien und Georgien, später bei Beben in Japan, Ägypten, Afghanistan und der Türkei. In Tschetschenien half er erstmals 1995. Seit 2000 ist er mit seiner Truppe bei Terroranschlägen helfend zur Stelle.

Nicht zufällig haben ihn Journalisten 1996 zum "Kinderarzt der Welt" gekürt. Von Anfang an war sein medizinischer Werdegang mit den Schwächsten in der Gesellschaft verbunden. 1957 belegte er das Staatsexamen für Pädiatrie, leitete danach 20 Jahre die Abteilung für Kinderchirurgie des Moskauer Krankenhauses Moniki, ehe er 1981 die Leitung der Abteilung für pädiatrische Notchirurgie im wissenschaftlichen Zentrum für Kinderkrankheiten der Medizinischen Akademie der Wissenschaften übernahm. Dazwischen verfasste er über 200 wissenschaftliche Arbeiten und sieben Bücher.

"Die Öffentlichkeit muss sich den Kindern zuwenden. Wir sollten für die Gesundheit der Kinder bestimmte Ressourcen verdoppeln oder sogar verdreifachen", forderte Roschal, als er im Vorjahr 2000 Teilnehmer aus mehr als 20 Ländern zu einem Forum "Kinder in Notstandssituationen" in Moskau empfing. (Eduard Steiner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2004)