Das Glaubwürdigste, was bisher vom Wirtschaftsprogramm der SPÖ zu hören war, bestand in dem Geständnis des Bundesgeschäftsführers, die jüngst zutage beförderten Bruchstücke desselben seien nicht optimal kommuniziert worden. Das lässt erahnen, dass ein Rest von Durchblick noch vorhanden ist. Die Frage ist nun, ob – und wenn ja wie – man dieses kostbare Gut für die Zeit bis zu den Nationalratswahlen zu nützen imstande ist.

Das Wirtschaftsprogramm einer Oppositionspartei ist der Kern jenes Gesamtprogramms, mit dem sie den Regierungsanspruch erhebt. Alle anderen Bereiche hängen mehr oder weniger direkt davon ab. Es war daher von vornherein klar – nein, es hätte klar sein müssen –, dass nicht nur dem Programm, sondern auch seiner Präsentation eine vorentscheidende Bedeutung zukommt, wie auch, dass eben aus diesem Grund die Regierungsparteien aus allen Rohren gegen dieses Programm schießen würden, egal, was es enthält.

Unbekümmertheit

All das schien in der SPÖ niemanden zu kümmern. Nicht nur hat man sich, wie schon festgestellt, mit dem Termin der Präsentation des Entwurfs den beabsichtigten Effekt der Sondersitzung des Nationalrates zu den Regierungssünden Telekom und Karl-Heinz Grasser zerstört; aber warum überhaupt ohne jede Not einen intern unabgesprochenen Entwurf vorlegen, ohne ferner auf die mit absoluter Sicherheit eintretenden Reaktionen vorbereitet zu sein? Die Öffentlichkeit hätte es schon ertragen, auf ein ausdiskutiertes, womöglich sogar ausgegorenes, jedenfalls aber beschlossenes Programm noch ein paar Wochen zu warten.

Dabei kann sich die SPÖ nicht einmal wirklich über die schnöde Mitwelt beschweren. Was vonseiten der ÖVP und der FPÖ bisher gegen Christoph Matznetters Gedanken abgefeuert wurde, waren leere Schlagworte. Und die Mittelstandslobby aus selbst ernannten, Hackler natürlich ausschließenden "Leistungsträgern", die vehement aktiv wurde, hatte noch nicht viel mehr vorzutragen als die Vertretung der eigenen Interessen. Wenn sie sich auf eine Person stützten, deren Einwände Substanz hatten und nicht mit Schaum vor dem Mund vorgetragen wurden, dann war das – der Sozialdemokrat Hannes Androsch.

Historische Begründung haben die hysterischen Reaktionen jedenfalls nicht. Selbst unter der SP-Alleinregierung ist in Österreich die Kluft zwischen Reich und Arm stetig größer geworden. Es war nur nicht so krass wie jetzt, und nicht so auffällig, weil es, anders als jetzt, auch den Ärmeren von Jahr zu Jahr etwas besser ging. Der Versuch, die biedere, alte SPÖ als Expropriateurin der höheren Stände hinzustellen, ist von einer monumentalen Lächerlichkeit, die nur die Armut an Sachargumenten im Detail verrät. Schon der komisch-ängstliche Slogan "Wir wollen mehr für alle" sollte das zeigen. Warum eigentlich?

Statistik

Nicht Kryptokommunisten, sondern die Statistik Austria wies kürzlich nach, dass zwischen 1995 und 2001 die Bezüge des unteren Einkommensdrittels um 1 (ein) Prozent gewachsen sind, die mittleren Einkommen um 13, die sehr hohen um 18 und die Spitzeneinkommen um 23 Prozent. Das Wifo stellte fest, dass die unteren Schichten heute real weniger verdienen als vor zehn Jahren, während Spitzeneinkommen enorm in die Höhe schnellen.

Mit der verhauten Präsentation hat sich die SPÖ vor allem selber schwer unter Druck gesetzt. Jetzt wird ihre programmatische Arbeit erst recht kritisch unter die Lupe genommen werden. Natürlich muss man den Wählern verständlich machen, was man will. Aber wer glaubt, sich an den genannten und anderen Fakten zur rapide wachsenden sozialen Ungleichheit vorbeischwindeln zu können und schon nach dem ersten Anlauf den Schwanz einziehen zu müssen, weil einem ein Wind ins Gesicht bläst, mit dem zu rechnen war, wenn man sich selber ernst nimmt – der baut nicht mehr auf die eigene Kraft, sondern nur noch auf die Fehler und Skandale von Schwarz-Blau. Ob das reichen kann, ist freilich zu bezweifeln. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4./5.9.2004)