Bild nicht mehr verfügbar.

Blick von der Akropolis auf Athen: Griechenlands Hauptstadt hofft auf einen nachhaltigen Wirtschaftsboom.

Foto: AP/Lefteris Pitarakis
Athen - "Siehst du die Straßenbahn dort, die U-Bahn und diese Straße? Das war alles vor ein paar Wochen noch nicht da, ich erkenne die Stadt nicht mehr", schwärmt Kerstin Trikalitis. So wie ihr geht es vielen Athenern. Die Straßen sind sauber, die berüchtigten Staus bleiben aus, weil die Menschen mit den neuen öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, während die Gewohnheitsautofahrer sich auf den neuen Autobahnen besser verteilen. Die Olympischen Spiele zeigten den Athenern ein modernes Gesicht ihrer Stadt, das sie bisher nicht für möglich hielten.

"Anfang einer neuen Ära"

"Wir müssen beweisen, dass der Erfolg einer so großen und komplizierten Veranstaltung sich nicht auf zwei Wochen Feierlichkeiten beschränkt", sagte Griechenlands Premierminister Kostas Karamanlis der griechischen Presse. "Es ist der Anfang einer neuen Ära." Die im März gewählte konservative Regierung hat viel vor: Der Tourismus soll modernisiert werden, die Exportwirtschaft gefördert und ausländische Investoren ins Land geholt werden.

Karamanlis muss nun den Stolz und Optimismus der Griechen erhalten und sie gleichzeitig zum Sparen motivieren. Letzten Schätzungen zufolge haben die Olympischen Spiele mehr als zehn Mrd. Euro gekostet, 4,6 Mrd. waren ursprünglich geplant. Das Budgetdefizit Griechenlands soll heuer deutlich über vier Prozent klettern, weit über der von der EU vorgeschriebenen Grenze von drei Prozent. "Jetzt werden wir sehen, ob die Regierung das Bild des modernen Griechenlands, das die Welt im Fernsehen gesehen hat, in moderne Wirtschaftspolitik verwandeln kann", bemerkt Jens Bastian, Finanz- und Südosteuropaexperte bei der Alpha Bank in Athen. "In der zweiten Septemberwoche hält Karamanlis eine Rede in Saloniki, in der er die neue Fahrtrichtung abstecken wird."

Lohnerhöhungen

Der erste Knackpunkt werden Lohnerhöhungen sein. Es sei nicht anzunehmen, dass diese über der Inflationsrate von drei Prozent liegen werden, so Bastian. Um die Einnahmen rasch zu steigern, müsse die Regierung außerdem die Renten- und Krankenversicherungsreform vorantreiben und die lang geplante Privatisierung von Olympic Airways sowie weitere Liberalisierungen im Energie- und Telekomsektor forcieren.

Der Handlungsspielraum, Wahlversprechen einzuhalten, wie etwa die Rentenerhöhung für Niedrigempfänger, Familienbeihilfe und Investitionen im Bildungsbereich, sei kaum vorhanden, sagt der Experte. Auch die ersten Verteuerungen ließen kaum auf sich warten: Ab 1. September erhöhte sich die Maut auf den neuen Straßen von zwei auf 2,50 Euro.

Mit vier Prozent Wachstum pro Jahr zählt die griechische Wirtschaft zu den am schnellsten wachsenden innerhalb der EU-Staaten. Griechenlands internationale Wettbewerbsfähigkeit liegt nach Angaben des World Competitiveness Yearbook 2004 aber unter der Estlands, der Slowakei und Ungarns.

Nummer eins am Balkan

Griechenlands Hoffnungsträger für die Zukunft ist Südosteuropa. "Vor fünf Jahren hat sich Griechenland geschämt, weil es das ärmste Land in der EU war, heute sieht es einen Vorteil darin, die Nummer eins am Balkan zu sein", so Bastian. "Griechenland ist ein Vorbild für die nächsten EU-Kandidaten geworden, denn es hat gezeigt, wie man EU-Mitglied wird und sich auf eine Währungsunion vorbereitet, das heißt in kürzester Zeit Schulden abzubauen und die Inflation in den Griff zu kriegen." "Der Balkan ist für Griechenland, was Zentraleuropa für Österreich ist", erklärt auch Delia Meth-Cohn, Osteuropaexpertin beim Economist Corporate Network in Wien. "Die Region ist eine Erweiterung des eigenen Marktes, nur dort können Unternehmen noch stark wachsen."

Besonders Rumänien gilt als Favorit mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von fünf Prozent und sieben Prozent Zuwachs bei den Auslandsinvestitionen. In den letzten 13 Jahren hat Griechenland rund sieben Milliarden Euro in seinen Nachbarstaaten investiert und ist damit der größte Investor der Region. Die wichtigsten Sektoren sind der Lebensmittelsektor, Bauindustrie, Banken und Telekommunikation. "Die Griechen haben zwei bis drei Jahre Zeit, um die Aufbruchstimmung zu nutzen", bestätigt auch Jürgen Schreder, Österreichs Handelsdelegierter in Athen. "Die Chancen, sich über den Balkan zu rehabilitieren, halte ich für sehr gut. Die Griechen müssen sie jetzt am Schopf packen." (Nadja Hahn, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.9.2004)