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Der Angstraum Schwarzenbergplatz lädt auch nach dem Umbau nicht zum Rübergehen ein.

Foto: APA/Roland Schlager

Das 5. Stockwerk in der Karolinengasse 9 - nach der wienerischen Beschilderung ist es nicht existent. Foto: Christian Fischer

Foto: Christian Fischer
Ein Gebäude, in dem Roman David-Freihsl und Christian Fischer wieder einmal über das Wiener Etagenphänomen rätselten.

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Wien - "Das war schon so", bestätigt Marlene Streeruwitz im STANDARD-Gespräch. "In der Karolinengasse lebte wirklich eine Freundin von mir, der ich mit den ,Verführungen' ein Denkmal gesetzt habe."

Obgleich das Buch eine "vergessene und später wiedergeholte, eine oszillierende Wirklichkeit" beschreibe. Das sei gut so, "ich hab' das dann später beim Schreiben auch nicht mehr nachrecherchiert. Schließlich ist das Literatur und kein Reiseprospekt."

Tatsächlich hat sich in der Karolinengasse im 4. Bezirk einiges geändert seit den 80er-Jahren, in denen die "Verführungen" spielen. Im Haus Nummer 9 lebte im Buch die Freundin Püppi. "Es gab keine Gegensprechanlage. Nicht einmal Glocken. Wollte man zu Püppi, musste man erst anrufen. Oder man war geschickt genug, ein Steinchen gegen die Fenster im 5. Stock zu werfen." Auch musste Helene immer die Stiegen hinauflaufen. Und da es vor allem auch die Welt der Kinder ist, die Streeruwitz beschreibt: "Sie kletterten die Stiegen hoch. Helene half Püppi den Kinderwagen tragen. Im zweiten Stock dachte Helene, sie würde ohnmächtig vor Schwäche. Jede Stufe schien unüberwindlich."

Jetzt gibt es sie, die Gegensprechanlage. Auch ein Lift wurde eingebaut. Und so stehen wir im Stiegenhaus und rätseln wieder einmal über das urwienerische Etagenphänomen. Es könnte in diesem Haus schon sein, dass Püppi in der fünften Etage gewohnt hat: Gleichzeitig gibt es diesen 5. Stock nicht - nicht auf den Schildern. "Mezzanin", dann 1. bis 3. Stock und oben das mit ausgebaute "Dachgeschoß".

Ob sie meine, dass dieses Haus fünf Stockwerke habe, fragen wir eine Bewohnerin. Sie: "Des frag' i mi." Ob sie eine Püppi gekannt habe? "So eine Dame würde ich nicht kennen", hat die Mieterin ihre eigenen Assoziationen. Eine andere Frau im Stiegenhaus meint: "Es ziehen so viele hier ein und aus. Mein Vater lebt schon lange hier. Aber der ist 90 Jahre alt. Da gibt es nicht viel mehr zu sagen."

Es könne auch ein anderes Stockwerk gewesen sein, bekennt Streeruwitz. Aber dies sei "keine Unsicherheit", eher "die Ausbeutung des Raumes". Auch eine Verdeutlichung der spezifischen Wiener Haltung, wie die Rettungsleute mit Bahren in solchen Häusern rauf- und runtermüssen. "Da drin liegt der Papa mit'm Herzinfarkt und kummt net auße", verdeutlicht die Schriftstellerin.

Ein Platz als Angstraum

Ein Schauplatz des Buches wurde kürzlich neu gestaltet: Der Schwarzenbergplatz - in den "Verführungen" vor allem ein Angstraum, behaftet mit dem Mord an einem Mädchen: "Bei der 3. Säule von links hatte Ilona Faber gelegen." Jetzt ist der Platz davor komplett umgebaut. Das Einzige, was Streeruwitz dazu einfällt: "Ich habe nicht das Gefühl, dass man da rübergehen sollte."

Im Buch ist es das Wien der 80er-Jahre, bis hin zu Szenen aus der Bäckerstraße: "Haimowicz kam vom Kalb herauf in Richtung Alt Wien." Für Streeruwitz ist es "fast schon ein historischer Roman". Der 1995 geschrieben wurde, "gerade als der Globalisierungsschub über alles hinwegfegte".

Jetzt erkennt Streeruwitz: Das Schreiben war "wie ein Abschiednehmen". (DER STANDARD, Printausgabe 07.09.2004)