Bei der Analyse des israelisch-palästinensischen Konflikts ist man längst über solche Feinheiten hinaus, wie die, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum ein Angriff, der, wie ja von der israelischen Regierung wortreich behauptet wurde, in Damaskus organisiert und von Hebron aus realisiert wurde, dann in Gaza beantwortet wird. Und dann ist man ja diesmal durchaus erleichtert, wenn nicht in ein Wohnhaus oder in ein Auto, in dessen Nähe sich Unbeteiligte, vielleicht Kinder, aufhielten, hineingedonnert wurde. Eine große Gruppe uniformierter Hamas-Mitglieder bei einem mitternächtlichen Treffen als "unschuldige Zivilisten" zu bezeichnen, wie es die palästinensische Autonomiebehörde am Dienstag getan hat, dazu gehört schon eine gehörige Portion Chuzpe.

Das Mitleid hält sich also in Grenzen. Wobei eine andere Feinheit, über die man längst nicht mehr spricht, jedoch noch immer die Frage betrifft, ob sich ein Rechtsstaat Tötungen ohne Gerichtsurteile leisten kann und will. (Was nicht als Eintreten für Tötungen mit Gerichtsurteil missverstanden werden sollte.)

Aber es ist ohnehin sinnlos, über die Legitimierung von extralegalen Angriffen auf Extremisten zu diskutieren, solange die Welt - man selbst - noch unter dem Eindruck der Bilder von Beslan steht. Israels Premier Ariel Sharon wusste genau, was er tat, als er sofort nach dem Massaker den Schulterschluss mit Moskau erklärte. In der Tat, da gibt es Parallelen, nicht zuletzt die des unsäglichen Leids, das der Terrorismus über die Zivilbevölkerung bringt.

Aber dann gibt es da auch noch die von Sharon ganz bestimmt nicht gemeinte Parallele, dass weder in Israel noch in Russland die Konflikte als solche mit dem extremistischen Islam begonnen haben. Sie ideologisch zu internationalisieren, auf die Metaebene "Wir wehren uns gegen den Islamismus" zu heben, um ihre Genesis verschweigen zu können, ist schwer populistisch. Aber es funktioniert. (DER STANDARD, Printausgabe, 8. 9. 2004)