Koalition und Opposition warfen sich zur Mitte der Legislaturperiode gegenseitig vor, Verunsicherung und Politikverdrossenheit zu fördern. Die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Angela Merkel machte Schröder für einen schweren Vertrauensverlust in das demokratische System verantwortlich, besonders im Osten. Schröder sei ohne Linie, führungsschwach, unglaubwürdig, produziere Schlagworte "wie ein Hamster im Laufrad" und enttäusche die Bürger immer wieder. "Das erzeugt bei der Bevölkerung Leere, Wahlenthaltung und zum Schluss Flucht in die radikalen Parteien", meinte sie.
SPD-Chef Franz Müntefering bescheinigte der Unionsspitze "blanke Heuchelei". In internen Verhandlungen fordere sie knallharten Kapitalismus, in der Öffentlichkeit geriere sie sich als Verfechter des Sozialstaats. Ihre Vorschläge seien unbezahlbar, ihre Sparvorschläge führten zu Pensionskürzungen und einem Einbruch der öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur.
Dem Druck der Strasse nicht nachgeben
Schröder will im Streit um die Reform der Finanzhilfen für Arbeitslose (Hartz IV) dem Druck der Straße nicht nachgeben. Sie werde ohne Abstriche verwirklicht, betonte er. Der Kanzler rief die Opposition zur konstruktiven Mitarbeit auf, wozu sich Merkel generell bereit erklärte, wenn die Richtung stimme. Die politischen Lager warfen einander einen unklaren Kurs vor, der nach wahltaktischen Gründen ausgerichtet werde.
"Besonders makaber" sei, dass mehrere CDU-Ministerpräsidenten bei den Verhandlungen über Hartz IV wesentlich stärkere Vorgaben für Arbeitslose gefordert und durchgesetzt hätten, nun aber im Landtagswahlkampf auf Nachbesserungen drängten, kritisierte Schröder: "Das nennen Sie vertrauensbildend." Merkel erwiderte, der Kanzler müsse die Frage beantworten: "Was ist bei 24 Prozent Arbeitslosigkeit die Perspektive für die Menschen?" Die Bürger der Ex-DDR spürten, dass sich die Schere zwischen Ost und West wieder öffne.
Neue Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung
Schröder warnte davor, den Blick nur auf die Belastungen durch die Reformagenda 2010 zu richten. Es gehe darum, Geld für Bildung, Forschung, Innovation und Kinderbetreuung freizuschaufeln, also um Zukunftsvorsorge. Rot-Grün habe eine neue Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung gefunden. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei nötig. Schröder wies erneut den Vorwurf zurück, das Vermögen, das bei der Berechnung der neuen Arbeitslosenhilfe nicht angetastet werden dürfe, sei zu gering. Der Betrag sei so hoch wie in keinem anderen europäischen Land.