Pensionsrechte, die dem Gleichheitsgebot widersprechen, können wohl kaum als "wohlerworben" gelten. Auf den Fortbestand solcher Vorrechte zu vertrauen verdient keinen Schutz.

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Die am Dienstag präsentierte Harmonisierung der Pensionssysteme für alle Österreicher, egal ob Selbstständige, Landwirte, "normale" ASVG-Arbeitnehmer oder Beamte, wird – mit mehr oder weniger Modifizierungen – vielleicht am 1. Jänner 2005 Gesetz werden. Gleichheit schaffen wird sie aber erst in Jahrzehnten.

Nicht nur dass alle über 50- Jährigen deutlich besser gestellt sein werden. Es bleiben darüber hinaus die bis jetzt erworbenen Ansprüche auch für die Jüngeren erhalten. Das wirkt sich – wie gerecht! – am günstigsten für Beamte in hohen Gehaltsstufen aus, für- die die Pension bis jetzt vom durch keine Höchstgrenze beschränkten letzten Gehalt berechnet wird. Und natürlich auch für die Angestellten der Sozialversicherungsträger mit ihrer zusätzlichen "Dienstordnungspension", die im August für Aufregung sorgte.

Grund dafür ist paradoxerweise der Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes.

Seit knapp 20 Jahren nämlich schützt der VfGH mit Berufung auf die Gleichheit aller Staatsbürger vor- dem Gesetz das "Vertrauen in wohlerworbene Rechte": Speziell wenn es um Pensionsanwartschaften geht, dürfen die über längere Zeit aufgebauten Erwartungen der Begünstigten nicht enttäuscht werden, eine kurzfristige Umstellung etwa auf einen niedrigeren Lebensstandard ist ihnen nicht zuzumuten, und zwar auch dann, wenn es sich um höchste Ruhegenüsse handelt, die unter Bedingungen erworben wurden, die nur für eine in dieser Hinsicht privilegierte Klasse von Staatsbürgern gelten.

Eine solche Judikatur auf den Gleichheitsgrundsatz zu stützen ist kühn. Denn Art. 7 Abs. 1 B-VG, der die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz vorschreibt, macht in seinem zweiten Satz deutlich, was vor allem darunter zu verstehen ist: das Verbot von Vorrechten, die sich etwa aus der Geburt, dem Geschlecht, der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand, einer Klasse oder einem religiösen Bekenntnis herleiten.

Gleicher als gleich?

Die ausdrückliche Beseitigung dieser Vorrechte durch das B-VG 1920 erfolgte radikal, ohne Übergangsregelungen, und ohne für bestimmte Jahrgänge Ausnahmen vorzusehen. Man würde erwarten, dass der VfGH in den Fällen, in denen der Schutz des Vertrauens auf bestehende Rechte eingefordert wird, prüft, ob es sich bei diesen Rechten nicht vielleicht um verbotene Privilegien handelt, für die, jedenfalls gemäß dem Text der Verfassung (Art. 7, Abs. 1) kein wie auch immer gearteter Pardon gilt; dem ist er bis jetzt aber eher ausgewichen.

Das hat schon 1987, als er sich schützend vor das Vertrauen stellte, das Grazer Politiker in ihre durch eine Reform bedrohten Mehrfachpensionen setzten, die für normal "gleiche" Österreicher gesetzlich ausgeschlossen waren, zu einem handfesten Skandal geführt.

Wie viel oder wenig das Verbot von Vorrechten für bestimmte Gruppen von Staatsbürgern dem VfGH bedeutet, kann an einer normativen Formel abgelesen werden, die er in der Judikatur zu Art. 7B-VG entwickelt und zu seinem obersten Leitsatz gemacht hat: Der Gleichheitsgrundsatz gebiete, so der VfGH, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.

Das Privilegienverbot des Art. 7 B-VG fordert dem gegenüber das genaue Gegenteil: An bestimmte Unterschiede wie jene der Geburt, des Geschlechtes usw. dürfen seit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung gerade keine unterschiedlichen Rechtsfolgen mehr geknüpft werden, sofern mit ihnen Vorrechte begründet würden.

Auch die immer wiederkehrende Rede von den "wohlerworbenen Rechten" wäre eine genauere Betrachtung seitens des VfGH wert. Wann sind Rechte wohlerworben, wann nicht? Dass Rechte rechtmäßig, das heißt, entsprechend der geltenden Rechtslage erworben wurden, kann nicht genügen, denn rechtswidrig erworbene "Rechte" sind keine.

Wenn "wohlerworben" nicht nur eine Maske sein soll, die Begünstigungen ein moralisches Antlitz verpasst, dann müssen solche Rechte Anforderungen genügen, die über formale Rechtmäßigkeit hinausgehen.

Pensionsrechte aufgrund von Regelungen, die offenkundig mit dem Privilegienverbot des Gleichheitsgrundsatzes in Widerspruch stehen, können dann aber wohl kaum als wohlerworben gelten. Und ob das zum Beispiel bei den "Dienstordnungspensionen" der Sozialversicherungsträger der Fall ist, kann man grundsätzlich auch ohne besondere Rechtskenntnisse beurteilen. (Vom Staatsbürger wird in- juristisch viel komplexeren Situationen rechtskonformes Verhalten verlangt.)

Arme Funktionäre?

Die subjektive Bewusstseinslage der Privilegierten, die in Verfolgung ihrer Interessen selbstverständlich regelmäßig empört leugnen, privilegiert zu sein, und stattdessen schnell mit dem zynischen Vorwurf der Neidgenossenschaft zur Hand sind, ist dabei sicher nicht der geeignete Maßstab. Es wäre diesen Privilegierten vielmehr zumutbar zu erkennen, dass ihre Vorrechte auf verfassungsrechtlich bedenklicher Grundlage ruhen. Auf den Bestand solcher Vorrechte dennoch zu vertrauen verdient keinen Schutz.

Die Wohlerworbenheit wäre auch infrage zu stellen, wenn Rechte (wie die Dienstordnungspensionen) von Funktionären begründet werden, die sich damit gegenseitig begünstigen – Stichwort "Selbstbedienung" –, was direkt zulasten der Institution geht, für die diese Funktionäre verantwortlich sind, indirekt aber zulasten Dritter, also der Sozialversicherten oder Steuerpflichtigen, die das letztlich bezahlen müssen, ohne sich dagegen auf demokratische Weise wehren zu können.

Als-ob-Demokratie

Die willensbildenden Organe der Sozialversicherungsträger und ihres Hauptverbandes etwa sind zwar Organe selbst verwalteter Körperschaften; es gibt aber keine Wahlen, in denen die Versicherten diese Organe legitimieren oder zur Rechenschaft ziehen könnten. Ihre Besetzung erfolgt vielmehr über komplizierte Verfahren, in denen die berufsständischen Interessenvertretungen (Kammern) eine entscheidende Rolle spielen. So wird Demokratie vorgetäuscht, effektive demokratische Kontrolle aber verhindert. Es braucht daher nicht viel Nachdenklichkeit, um "Selbstbedienung" in der Selbstverwaltung nicht als geradezu ideale Voraussetzung für wohlerworbene Rechte anzusehen.

Wenn es keine Überschüsse zu verteilen gibt, sondern gespart werden muss, können Ungerechtigkeiten nur beseitigt werden, indem in bestehende Rechte kürzend eingegriffen wird. Der Verfassungsgerichtshof hat darauf zu achten, dass dabei keine Grundrechte verletzt werden. Bei deren Auslegung aber trägt er gerade dann besondere Verantwortung. Will er ihr entsprechen, so wird er nicht umhin können, Aspekten des Gleichheitsgrundsatzes, die er bisher vernachlässigt hat, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.9.2004)