Warschau - 60 Prozent der Abgeordneten des polnischen Parlaments (Sejm) halten es für möglich, dass durch Bestechung Einfluss auf die Gesetzgebung genommen wird - nicht im Parlament selbst, sondern während der Erarbeitung der Gesetze in den Ministerien. Das ist das Ergebnis einer eben veröffentlichten Umfrage der unabhängigen Stefan Batory-Stiftung unter Parlamentariern. Im Sejm, etwa bei Beratungen über Gesetze in den Ausschüssen, halten nur 28 Prozent Korruption für möglich. Dass die Bestechlichkeit von Politikern keine Einzelfälle sind, glauben satte 89 Prozent der befragten Parlamentarier.

Wissen die polnischen Abgeordneten mehr über Korruption in der Politik als der Rest der Bevölkerung? Das legt ein anderer Wert nahe: Während für die Abgeordneten unlauteres Verhalten von Beamten und Politikern das drittgrößte Problem des Landes darstellt, rangiert es unter den "Leuten von der Straße" nur an sechster Stelle.

Öffentliche Meinung

Auffällig ist, dass die Politiker Korruption an anderer Stelle vermuten als die öffentliche Meinung. 64 Prozent der Sejm-Mitglieder glauben, unter Politikern und Parlamentariern - also in ihrem eigenen Tätigkeitsfeld - gebe es die meisten Korruptionsfälle. Eine Mehrheit von 56 Prozent der Polen ortet Korruption dagegen eher bei den Verwaltungen der Gemeinden und der Wojwodschaften. Befragt zu Unregelmäßigkeiten in der Justiz, sind sich beide Gruppen einig: Jeweils die Hälfte der Befragten halten Korruption dort für ein Problem.

Als klassisches Beispiel für Korruption in der Gesetzgebung gilt für viele Polen die so genannte Rywin-Affäre. Mit Filmproduzent Lew Rywin als Vermittler - so der Verdacht - soll die polnische Regierung unter dem früheren Ministerpräsidenten Leszek Miller dem Medienkonzern Agora vorgeschlagen haben, Schmiergeld zu zahlen. Im Gegenzug sollte eine für das Verlagshaus günstige kartellrechtliche Regelung erlassen werden. Rywin wurde im April von einem Warschauer Gericht wegen Betrugs verurteilt, die Beteiligung der Regierung konnte die Justiz nicht nachweisen. (APA)