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In den Nachrichten sah man jüngst, wie Ken Lay, Exchef von Enron, in Handschellen abgeführt wurde. Endlich - Jahre nach dem Zusammenbruch von Enron - wird Lay für das, was während seiner Zeit am Ruder passiert ist, vor Gericht gestellt. Wie so häufig unter solchen Umständen beteuert der Vorstandsvorsitzende seine Unschuld: Er habe nicht gewusst, was seine Untergebenen taten. Für die Erfolge ihrer Unternehmen scheinen sich Bosse wie Ken Lay immer voll verantwortlich zu fühlen - wie anders könnten sie ihre exorbitanten Vergütungen rechtfertigen?

Die Schuld für Misserfolge - ob wirtschaftlicher oder krimineller Art - scheint immer woanders zu liegen. Amerikas Gerichte (wie jene in Italien im Fall Parmalat) werden nach geltendem Recht das endgültige Urteil über straf-und zivilrechtliche Verantwortung fällen. Allerdings geht es in Fällen wie diesem noch um eine umfassendere Frage: In welchem Umfang sollte ein Unternehmensführer für das, was während seiner Amtszeit passiert, verantwortlich gemacht werden?

Klar ist, dass kein Vorstandsvorsitzender eines Großunternehmens mit hunderttausenden von Beschäftigten alles wissen kann, was in seinem Unternehmen vorgeht. Wenn aber nicht der Vorsitzende die Verantwortung trägt, wer dann? Die unter ihm behaupten, nur getan zu haben, was ihrer Ansicht von ihnen erwartet wurde.

Der Chef ist verantwortlich

Falls sie nicht präzisen Anweisungen folgten, so reagierten sie zumindest auf vage Pro-forma-Instruktionen der Unternehmensspitze nach dem Motto: Tut nichts Illegales, maximiert einfach die Gewinne. Das Ergebnis ist häufig genug ein Klima, in dem Manager das Gefühl entwickeln, es sei akzeptabel, die gesetzlichen Bestimmungen allzu großzügig auszulegen oder die Bücher des Unternehmens zu frisieren. Auch wenn der Chef nicht alles wissen kann: Er ist trotzdem in letzter Instanz verantwortlich.

Unternehmensführer wählen ihre Untergebenen aus, also liegt es in ihrer Verantwortung, unbequeme Fragen im Hinblick auf das zu stellen, was sich unter ihrer Aufsicht abspielt. Wichtiger noch: Es liegt in ihrer Verantwortung, für ein Unternehmensklima zu sorgen, das zu bestimmten Handlungen ermutigt und anderen entgegenwirkt. Schlicht gesagt, es obliegt ihrer Verantwortung, echte Führer zu sein.

Was für Unternehmensführer gilt, gilt in doppelter Weise für Präsidenten und Premierminister. Die USA entscheiden gegenwärtig, wer das Land in den nächsten vier Jahren führen wird. Präsident George W. Bush kann behaupten, dass er nicht wusste, dass die ihm von der CIA gelieferten Informationen in Bezug auf Massenvernichtungswaffen im Irak unzutreffend waren. Er kann weiter behaupten, dass es ihm unmöglich war, zu gewährleisten, dass US-Soldaten keine Gräueltaten, Folter oder Verstöße gegen die Menschenrechte begingen. In einem grundlegenden Sinne jedoch ist Bush, wie Ken Lay, schuldig und muss zur Verantwortung gezogen werden.

Bush hat seine Verantwortung nicht wahrgenommen

Genau wie ein Vorstandsvorsitzender mit einer schwachen Bilanz und massiven Verfehlungen seines Unternehmens gefeuert werden sollte, sollten auch politische Führer einem ähnlichen Standard unterworfen werden. Bush hatte eine Verantwortung für das Verhalten derjenigen, die für ihn arbeiten. Statt diese wahrzunehmen, hat er sich nahezu ohne Ausnahme Leute vom Schlage eines Ken Lay als Berater geholt.

So wählte Bush als seinen Vizepräsidenten einen Mann, der Vorstandsvorsitzender von Halliburton war. Niemand kann Dick Cheney für das Fehlverhalten bei Halliburton nach seinem Ausscheiden dort verantwortlich machen, aber die Belege über Fehlverhalten während seiner Führung häufen sich.

In ähnlicher Weise machte Bush bei der US-Börsenaufsicht mit Harvey Pitt den Bock zum Gärtner - bis die öffentliche Empörung Pitts Rücktritt erzwang. Bush hat diejenigen ausgesucht, die ihm die fehlerhaften Informationen über den Irak lieferten, oder zumindest wählte der die Leiter der Organisationen aus, die ihm die fehlerhaften Informationen lieferten. Er hat seinen Verteidigungsminister und seinen Justizminister ausgewählt. Er und die von ihm ernannten Personen haben ein Umfeld der Heimlichkeit geschaffen - ein System, in dem normale Kontrollmechanismen zur Gewährleistung der Richtigkeit von Informationen außer Kraft gesetzt wurden. Vor allem aber hat Bush keine unbequemen Fragen gestellt - vielleicht, weil er bereits wusste, welche Antworten er hören wollte.

Verantwortung übernehmen

Dabei haben Bush und seine Mannschaft eine in sich abgeschottete Kultur geschaffen, in der Fakten, die nicht ins Konzept passen, nicht interessieren - eine Kultur, in der mit Menschenrechten kurzer Prozess gemacht wird und in der bestimmte Personen keines Rechtsschutzes für würdig befunden wurden. Nur eine solche Kultur - in der der seit langem geltende Grundsatz der Unschuld eines Angeklagten bis zum Beweis seiner Schuld untergraben wurde - konnte die kleinkrämerischen juristischen Unterscheidungen der Bush-Administration hervorbringen, was denn nun Folter sei und was nicht.

Bei der anstehenden Entscheidung geht es darum um nichts weniger als darum, unsere Führer zu zwingen, für ihre Handlungen die Verantwortung zu übernehmen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12.9.2004)