Wien - Kary Mullis ist der Typ Mensch, mit dem es sich gut aushalten lässt, im Lift stecken zu bleiben. "Security scheint hier Sinn stiftend zu sein", scherzt er, während er mit einer Portion Hirnschmalz und drei Schlüsseln versucht, die Kinderkrankheiten des Aufzugs in seinem Hotel zu überlisten. Der Nobelpreisträger ist Gast beim Waldzell-Symposion zum "Sinn des Lebens" in Melk, das dieses Wochenende stattfindet.

"Nicht, dass es schwierig wäre, die Sinnfrage zu beantworten. Aber es ist schwierig, sie richtig zu beantworten", sagt er. "Ich kenne den Sinn meines Lebens: dass es mir niemand wegnehmen soll und ich wertschätzen will, was ich wahrnehme. Manche Astronomen sagen jedoch, dass wir 90 Prozent von dem, was existiert, weder sehen noch spüren. Vielleicht funktionieren Newtons Gesetze also nicht."

Der in Lenoir, North Carolina, geborene Mullis war 13 Jahre alt, als Russland 1957 die Sputnik I ins All schickten. "Amerika steckte daraufhin Milliarden in die Weltraumtechnologie - Goldgräberzeiten also für junge Leute, die wissenschaftsverliebt waren", erzählt er. Für seine Erfindung der Polymerase Chain Reaction (PCR) erhielt er 1993 den Chemienobelpreis.

Der chemische Prozess der Polymerasekettenreaktion revolutionierte Forschung und Sicherheit von Blutprodukten. Damit lassen sich DNA-Sequenzen in kürzester Zeit fast beliebig vervielfältigen - was bis dahin zu langsam und zu teuer gewesen war.

"Wir können nun die verschiedensten Gensequenzen vergleichen, und erkennen, was welche Spezies mit welcher gemeinsam hat", erklärt Mullis: "Nun wissen wir, dass es vor 300.000 Jahren einen Menschen gab, den eine Frau gebar, also" - er gestikuliert in Richtung Zimmerbaum - "was unser Stamm ist." Auch das Erbgut der Dinosaurier konnte mit PCR "quasi zum Leben" erweckt und untersucht werden. "In diesem Sinn bin ich der Vater von Jurassic Park", sagt Mullis. Und lacht.

Der Forscher könnte auch bald "Vater des Widerstands" sein - des Widerstands gegen Krankheiten: Er arbeitet an einem Verfahren, das Schutz vor vielen Infektionskrankheiten bringen könnte. Das Immunsystem aktiviert sich dabei auch gegen unbekannte Erreger sofort. "Gegen die Grippe, die Sie zuletzt hatten, sind Sie immun. Die Erreger werden vom Abwehrsystem sofort erkannt. Neue Grippeviren, etwa die Vogelgrippe, kennt Ihr Abwehrsystem aber noch nicht. Es braucht zehn Tage, um Antikörper dagegen zu entwickeln", erklärt er, "und bis dahin sind Sie erkrankt."

Jeder Mensch hat hingegen Antikörper gegen " Alpha-Gal-Epitope" (Zelloberflächenmoleküle), weil er sie im Unterschied zu anderen Lebewesen nicht hat, aber von Nahrungsmitteln kennt. Das Immunsystem erkennt sie als fremd und reagiert sofort. "Wenn wir nun Alpha-Gal mit einem Molekül verbinden, dessen Struktur sich mit allem Möglichen, auch Viren, binden kann, dann erkennt das Immunsystem den gesamten Komplex als Alpha-Gal." Was für ein Molekül das sein könnte? "Aptamer", erklärt Mullis, ein DNA-Stück, das seinen Namen nach dem lateinischen "aptus" erhalten hat, was so viel heißt wie "passt".

Eine "Sofortimpfung" gegen Infektionen "von stabiler Struktur" könnte laut Mullis damit die Zukunft sein. (Eva Stanzl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12. 9. 2004)