Ernst Molden und Nikolaus Similache durchstreifen die Stadt
Stefan Gmünder
,
Manchmal, sagte Helmut Qualtinger, wisse er nicht, ob er ein Wiener oder ein Mensch sei. Oder, auch von Qualtinger: "Das Problem für jeden Wiener: Man kann es in Wien nicht mehr aushalten, aber woanders auch nicht." Thomas Bernhard schreibt in
Gehen
über die "Wiener Gesellschaftshölle", und überhaupt sind etliche bedeutende Texte der österreichischen Literatur in, über und gegen Wien geschrieben worden. Wer ein weiteres Buch über Wien vorlegt, muss sich also warm anziehen, denn vieles ist schon über diese Stadt des kalten Windes, der doppelgründigen Gemütlichkeit und des rennenden Schmähs geschrieben worden.
Der Schriftsteller, Musiker, Johnny-Cash-Verehrer und Wiener Ernst Molden (Jahrgang 1967) zeigt in seinem Buch Wien. Hinweise zum Umgang mit einer alten Seele, wie es gehen kann. Zwar weiß Molden, so wie der Fotograf Nikolaus Similache, der 52 wunderbare, schwarz-weiße Wienfotos (siehe oben) beisteuert, dass Wien eine Stadt ist, die einem ab und zu mürrisch den "Arsch zeigt", und natürlich kommt auch Molden nicht darum herum, sich mit Klischees und Mythen dieser Stadt auseinander zu setzen. Doch er umgeht in seinem Streifzug, der vom Einst ins Jetzt, vom Zentrum an die Peripherie, von der Enge der Cafés in die Weite des Wienerwaldes und von den Höhen des Donauturms in die Tiefen der U-Bahn-Schächte führt, die vom Genre geforderten Vorgaben elegant. Der äußeren, sichtbaren Stadt, die er zu Fuß oder mit den Öffentlichen durchmisst, stellt er eine innere, unsichtbare gegenüber.
Er geht dorthin, wo die Seele der Stadt wohnt, an Orte, wo die Grenzen der Realität durchlässig und taubeneidünn sind. Es ist das Innere, Verborgene, das ihn interessiert, die Innenseite der Stadt, ihrer Menschen, das eigene Innere und die Gerüche der Kindheit auch. Er trifft auf Flaneure, Brustgeschwellte und Schmähführer, Sanftmütige und Hintergründige und streift, ganz kurz nur, die Südkurve des Wiener Opernballs und die Spezies der Kulturlemuren. Er geht auf die Schwächen und Untugenden der Menschen, die er so wie seine Stadt liebt, ein. Schwächen, hinter denen die Mühen des Lebens stehen, denn der Mensch ist, wie eine Stadt, nicht aus einem Stück, sondern er ist eine Summe von Widersprüchen und unterliegt der täglichen Qual, mit sich selbst zu kämpfen, mit Leidenschaften und Schwäche. Und ab und zu gelingt es einem vielleicht, den Alltag zum Glänzen zu bringen, in Wien, Bischofshofen oder sonst wo. Dazu muss man allerdings zaubern können, und Wien, so der letzte Satz des Buches, kann zaubern, Molden und Nikolaus Similache können es auch.
Wien. Hinweise zum Umgang mit einer alten Seele
ist ein schönes Buch geworden - und ein stilles, auch wenn es vom Lärm der Stadt spricht. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.9.2004)
Forum:
Ihre Meinung zählt.
Die Kommentare im Forum geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen,
den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen
(siehe ausführliche Forenregeln),
zu entfernen. Benutzer:innen können diesfalls keine Ansprüche stellen.
Weiters behält sich die STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. vor, Schadenersatzansprüche
geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.