"Egon Krenz: Ich bringe mich um." So lautete die Schlagzeile auf der Titelseite der "Bild"-Zeitung am 5. März 1990. An diesem Tag begannen die vier westdeutschen Großverlage Bauer, Burda, Springer sowie Gruner+Jahr mit dem Verkauf von zunächst 73 Titeln in der DDR. "Die haben uns die Zeitungen aus den Händen gerissen", berichtete Günter Eichhoff, Vertriebsleiter bei "Bild". Die Boulevardzeitung wurde bereits in den ersten Jännertagen unter anderem in Rostock verkauft. Für die DDR-Bürger bedeuteten die neuen bunten Blättern mit besserer Papier-, Foto- und Farbqualität aus dem Westen eine völlig neue Welt. "Die alten Genossen standen fassungslos daneben." Die DDR-Sicherheitsbehörden schritten nur in Ausnahmefällen ein. Der Förderverein unabhängiger Pressevertrieb in der DDR protestierte und sprach von einem "handstreichartigen Vorgehen". In der ersten Zeit wurden die Zeitungsstapel jede Nacht im Kofferraum über die Grenze geschafft, erinnert sich Eichhoff. Es fehlte damals an jeglichen Vertriebsstrukturen wie Verkaufsstellen oder Händler. Noch hatte die DDR-Post das Monopol für den Vertrieb von Presseprodukten. Vereinbarungen zwischen der Post und den vier großen Verlagen waren am Widerspruch des Runden Tisches der DDR gescheitert. Auch die kleinen und mittleren bundesdeutschen Verlage hatten protestiert, weil sie sich benachteiligt fühlten. Die vier westdeutschen Verlage entschlossen sich daraufhin, eigenhändig und gemeinsam den neuen Markt im Osten zu erobern. Wichtig war nach Ansicht der Verlage die rasche Schaffung eines überregionalen Verteilungssystems. Sie teilten sich das Gebiet der DDR auf und verkauften in ihrem jeweiligen "Mandatsgebiet" ihre eigenen Produkte, die der Konkurrenz sowie fremde Blätter, erläuterte Jochen Mohr, Vertriebsleiter von "Bild am Sonntag". Marktsicherung, Pressefreiheit und das Vorantreiben der Grenzöffnung seien damals die Ziele gewesen. Die Zeitungen und Zeitschriften wurden in der ersten Zeit von Händlern auf der Straße, vor Bahnhöfen, vor großen Kombinaten oder im Konsumladen verkauft. Die am 10. März 1990 gegründete Fernsehzeitschrift "Super TV" (Burda-Verlag) wurde im so genannten Trabi- Vertrieb an den Konsumenten gebracht. In der gesamten DDR gab es damals nur etwa 1.200 Kioske, heute sind es etwa 25.000. Viele Straßenverkäufer wurden auf der Straße angesprochen und vom Fleck weg engagiert, berichtete Eichhoff. Um die Zeitungen aus der Noch-DDR zu schützen, wurden die West- Produkte in den ersten Wochen zunächst zum Kurs von 1:3 verkauft, später gingen sie für 1:1 über den Tisch. Die Vertreter der West-Verlage hatten plötzlich große Mengen DDR- Mark in den Taschen - eine Währung ohne Wert. Mohr: "Wir haben das Geld erst mal in Marmeladeneimer eingeschlossen." Sein Kollege Eichhoff fand in Rostock einen Uhrmacher, der für ihn das Geld in einem Tresor verwahrte. Die Verlage durften weder ein Konto in der DDR eröffnen noch das Geld mit in den Westen nehmen. Einige Vertriebsmitarbeiter sollen in ihrer Not das Geld im Wald vergraben haben. "Keiner hat geglaubt, dass das mal richtiges Geld wird." Schon im zweiten Quartal 1990 setzten bundesdeutsche Verlage nach eigenen Angaben mehr als eineinhalb Millionen Zeitungsexemplare in der DDR ab, davon über eine Million "Bild"-Zeitungen. Die "Frankfurter Rundschau" verkaufte in dem Zeitraum 8.685 Exemplare, die "Süddeutsche Zeitung" 26.850, die "Frankfurter Allgemeine" 21.595 und "Bild am Sonntag" rund 670.000. Hinzu kamen 4,3 Millionen Exemplare Publikumszeitschriften pro Woche. Die anfängliche Begeisterung der Ostdeutschen für die "West-Presse" hat inzwischen nachgelassen. Obwohl die Bindung der Leser an ihre Regionalzeitungen stärker ist als zunächst angenommen wurde, lesen die Ostdeutschen inzwischen weniger Zeitung. Das Leipziger Institut für empirische Forschung hat im Mai 1999 herausgefunden, dass nur noch 73 Prozent regelmäßig eine regionale Zeitung lesen. 1997 waren es noch 89 Prozent. Nur vier Prozent lesen regelmäßig ein überregionales Blatt, 1996 waren es immerhin noch sieben Prozent. (APA/dpa)