Es sind in gewisser Weise beruhigende Nachrichten, die rund um die geplatzte Gewerkschaftsfusion bekannt geworden sind. Allein der Hinweis, dass die Hauptursache des Streits im allzu üppigen Besitz der Teilgewerkschaften gelegen sei, macht deutlich, dass es die Arbeiterklasse zu beachtlichem Reichtum gebracht hat. Geht es hart auf hart, hat der ÖGB für jedes seiner Mitglieder viele Tausend Euro auf der hohen Kante.

Es geht aber glücklicherweise selten wirklich hart auf hart in Österreich - und von den umfangreichen Beteiligungen des ÖGB haben die Mitglieder dieses immer noch größten Vereins des Landes unmittelbar gar nichts.

Weshalb sie sich auch verlaufen: Einerseits sinkt die Mitgliederzahl von Jahr zu Jahr (die aktuelle liegt erstmals unter 1,4 Millionen, soll aber erst irgendwann "im Herbst" veröffentlicht werden), andererseits verändert sich der Arbeitsmarkt in einer Weise, die gewerkschaftliche Arbeit erschwert: Es gibt immer mehr Arbeitsplätze (zuletzt zählte man 3,277.065 Beschäftigte), aber speziell im großstädtischen Bereich, unter Teilzeitbeschäftigten und in Kleinunternehmen sinkt der Organisationsgrad. Nimmt man noch die Tatsache dazu, dass unter den ÖGB- Mitgliedern auch noch mehr als 180.000 Pensionisten gezählt werden, dann kommt man drauf, dass nur etwa jeder dritte Arbeitnehmer in der Gewerkschaft ist.

Für viele stellt sich ja auch die Frage, wofür die Gewerkschaft überhaupt da ist: Aufgefallen ist der ÖGB in den letzten Jahren zwar mit politischen Streiks und Großdemonstrationen gegen die Pensionsreformen - in der unmittelbaren Arbeitsumgebung aber tun sich die Funktionäre schwer, die Vorteile der Mitgliedschaft zu vermitteln.

Das hängt auch damit zusammen, dass sich der ÖGB lange schwer getan hat, ein modernes Verständnis der Arbeitswelt zu entwickeln: Anstatt darauf hinzuwirken, dass Überstunden, Samstag- und Sonntagsdienste richtig gut bezahlt (und damit für die Arbeitgeber teuer) werden, hat er sich darauf verlegt, bei Ladenschluss und Wochenarbeit so lange zu blockieren, wie es ging. Es ging aber nicht ewig - Arbeitnehmer müssen nun länger oder wenigstens flexibler arbeiten, immer öfter auch an Sonntagen, aber herausgeholt wurde dafür wenig.

Der Rechtsschutz bei der Arbeit, früher ein Quasimonopol der Gewerkschaft, ist nun kostenfrei auch von den Arbeiterkammern zu bekommen. Und bei den Kollektivvertragsverhandlungen waren die Gewerkschaften mit so viel "Augenmaß" (ein Lieblingswort von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch) am grünen Tisch, dass sie dabei glatt übersehen haben, dass die Einkünfte aus Kapitalbesitz deutlich schneller gewachsen sind als jene aus Arbeit.

Das entsprach auch irgendwie dem österreichischen Konsens: Sozialer Friede jetzt, auch im den Preis moderater Lohnrunden - und dafür eine üppige, staatlich garantierte Alterssicherung für rüstige Frühpensionisten in einer von späteren Generationen zu finanzierenden Zukunft.

Diese Formel gilt aber nicht mehr. In Wirklichkeit wurde sie schon in den Neunzigerjahren ausgehebelt, unter der schwarz-blauen Regierung gibt es überhaupt kein Verständnis mehr dafür.

Für den ÖGB müsste das ein Umdenken bedeuten:

Mehr und härterer Verteilungskampf für die Arbeitnehmer - auch wenn das die in den letzten Jahren zu alter Gemütlichkeit wiederauferstandene Sozialpartnerschaft ein bisschen belastet.

Mehr Service für jedes einzelne Mitglied - auch wenn das wesentlich aufwändiger und weniger medienwirksam ist, als die gerne geübte politische Vertretung gegen die ungeliebte Regierung.

Und generell eine Orientierung an jungen, aufstiegswilligen, weiblichen Beschäftigten statt an älteren, unbeweglichen Männern kurz vor oder nach der Pensionierung.

Wenn man die ÖGB-Organisation an diesen Grundsätzen misst, könnte man rasch erkennen, wo die wahren Probleme und Ziele der Organisationsreform liegen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.9.2004)