Jérôme Bel steht vor dem Musentempel der Pariser Opéra Garnier, flirtet mit Terpsichore und denkt möglicherweise an John Cage.

Foto: Bel

...und präsentiert im Rahmen einer Kooperation von Wien Modern und dem TQW mehr als bloß eine Hommage: "John Cage. A Project by Jérôme Bel".

Vielleicht wird John Cage einmal ähnliche Würdigungen erfahren wie Leonardo da Vinci. Utopisch gesehen – und der legendäre amerikanische Avantgardekomponist war ein "Utopos" in Menschengestalt – könnte das in einer künftigen Gesellschaft, in der das individuelle soziale Denken und Empfinden den Status gelebter Kunst erreicht, in der es also Kunst in einem ganz anderen Sinn geben würde als heute, durchaus geschehen.

Heute gilt Cage schlicht als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Und Jérôme Bel ist seit Mitte der 90er-Jahre ein Prophet der zeitgenössischen Choreografie: ein Denker, ein Konzeptualist, ein politischer Kopf – und ein großer Verehrer von Cage. In einem vom Tanzquartier Wien gemeinsam mit Wien Modern veranstalteten Projekt gewinnt Bels Begeisterung für John Cage nun Form. John Cage. A Project by Jérôme Bel ist mehr als bloß eine Hommage.

Berno Polzer (Wien Modern) erklärt: "Bel führt durch einen Abend, der mit zentralen Denkinhalten von Cage konfrontiert. Der Choreograf hat einzelne Stücke und Projekte des Komponisten ausgewählt und sie in eine Ordnung gebracht. Neben zentralen Cage-Momenten wie Stille und Komplexität sowie instrumentalen Erfindungen wie dem präparierten Klavier ist einer der Hauptpunkte die Konfrontation mit der Situation, dass das Publikum der Performer ist."

Denn der viel zitierte Tod des Autors bedeutet, wie wir seit Roland Barthes wissen, zugleich eine Balance zwischen Schaffenden und Rezipienten. Und Barthes ist für Bel von außerordentlicher Bedeutung, sogar seine Organisation bzw. Company trägt die Initialen des Autors: R.B.

Stille als Musik

Martina Hochmuth (TQW) weiß, wie der Abend aussehen soll: "Jérôme Bel geht im ersten Teil des Projekts von einem konventionellen Setting des Piano-Solokonzerts, mit dem Pianisten Florian Müller, aus. Dieser konzertanten Präsentation folgt eine radikale Produktion von Stille – wobei Stille bei Cage bekanntlich keine Stille ist. Und das leitet zu einem dritten Teil über, in dem der Pianist das Publikum durch die Seitengänge der MQ-Halle E in einen zweiten Raum führt, wo das Publikum selbst Musik produziert: in 33 1/3." Dieses 1969 entstandene Werk lässt das Publikum mit an die zwanzig Plattenspielern und vierhundert Schallplatten "allein". Bel erläutert: "Ich versuche einige Thematiken zu artikulieren, an denen Cage arbeitete, und sie auf der Bühne zu präsentieren. Das wird natürlich eine subjektive Interpretation spezifischer Aspekte seiner Arbeit. Ich habe bestimmte Stücke aus seinem Repertoire ausgewählt, die, zusammengenommen, einige Gedanken über Kunst und Politik produzieren."

Klingende Kinder

Unter den Werken von Cage, die diesen Abend prägen werden, befinden sich einige, die so gut wie nie erlebt werden konnten, und andere, die heute bereits zu Klassikern geworden sind. Natürlich 4'33'' (1952/1960), dann aber auch 0'00'' (oder: 4'33'' No. 2; 1962), Suite for Toy Piano (1948), Demonstration of the Sounds of the Environment (1971), Evéne/Environne METZment (1981) und A House Full of Music (1982). Im letzten Stück mischen sich hundert Kinder unter das Publikum – und jedes Kind macht Musik.

Ein weiteres Projekt, das im Zusammenhang der einzigartigen John-Cage-Retrospektive von Wien Modern gemeinsam mit dem TQW ermöglicht wird, ist ein künstlerisches Forschungslabor der Frankfurter Küche (Leipzig), Kattrin Deufert und Thomas Plischke: Viel Lärm um nichts. Gemeinsam mit Gästen aus dem Bereich Musik, Tanz und Theorie arbeiten die beiden an einer Partitur à la Cage. (SPEZIAL/DER STANDARD, Printausgabe, 14.9.2004)