Peter Paul Rubens stellt sich in die Reihe von Leonardo und Michelangelo: "Leda und der Schwan" um 1600.

Foto: Albertina

Neo Rauchs "Aggregat fortdauernder Unergründlichkeit"
(Katalog): "Mammut", 2004 Öl auf Papier.

Foto: VBK, Wien, 2004

... Grund genug, sie unter Direktor Klaus Albrecht Schröders so erweiterten Albertina-Begriff – nur das Beste – unterzubringen.

Wien – Was haben Peter Paul Rubens und Neo Rauch gemeinsam? Klaus Albrecht Schröder. Weil der hat erkannt, dass es ziemlich egal ist, dass der eine (Rubens) 1577 in Siegen in Westfalen das Licht der Welt als Protestantenkind im Exil erblickt hat, der andere (Rauch) 1960 in Leipzig geboren wurde.

Weil: Es ist immer wieder super, dass es Stars gibt! Und noch viel supriger ist es, die auch zu kriegen. Und also ist es eigentlich der totale Wahnsinn, im Wissen um die Präsenz Rubens', die fesch adaptierte Albertina entlang durch Michelangelo und seine Zeit lustwandeln zu können und dabei sicher zu gehen, dass ausgangs noch der dinnertaugliche Anschluss ans Heute wartet: Neo Rauch, der Leipziger Maler mit dem enormen Wiedererkennungswert als Kapital.

Ein Wunder eigentlich, dass der noch Grafiksammlungen bespielt, anstatt seine eindrücklichen Bildfindungen, die das gemeine Volkstümliche mit dem latent melancholisch Intellektuellen aufs Verwertbarste verbinden, zu vermarkten.

Neo Rauch, das ist der durchschlagende Beweis dafür, dass Karl Moik endlich die Zeit fand, Charles Jencks zu lesen. Und also fordern konnte: Den Grand-Prix gewinnt, wer mir den Plattenbau und die italienische Reise vom Goethe mit dem Dali verbindet und darüber nicht vergisst, dass sich die Quellen einer jeden wallpaper-Illustration ja doch im Victoria & Albert Museum zu London finden.

Und wenn der dann auch noch irgendwie reinbringen könnte, dass jener Moment der schönste ist, der nicht enttäuscht, und trotzdem an früher erinnert, dann ist schon viel gewonnen. Dann ziehen wir das durch. Und bauen noch ein paar Brüche ein, um zu gewährleisten, dass sich auch die Fraktion der gendergerechten Texter zur Kunst geborgen wird wiederfinden können.

Und jeder wird ihn dann gefunden haben, seinen Zitatenschatz, und jeder wird es den Günter Jauchs und Armin Assingers des Vernissagen-Alltags sagen Können: Der hingesteckte Leib da, den kenn ich, und das ist von dort, und das kam da vor, und wie ich jung war, da war alles genauso. Und heute erscheint es auch mir recht gleichnishaft.

Mammutzahn

Und, nie vergessen, wo kein Sinn, da ein Sinnpotenzial, oder, wie der Katalog sagt: da "wird der Pfad zu einem Aggregat der fortdauernden Unergründlichkeit". Schließlich sind wir ja alle Demokraten. Und die Sozialisten sind sowieso konservativ. Und wenn da eine Bauruine vor sich hin dämmert, dann hat sie immerhin, wenn nicht ihren eigentlichen, so doch den Zweck erfüllt, einen Mammutzahn in die staatlich garantierte Geborgenheit eines Museums überzuführen.

Neo Rauchs Arbeiten erfüllen also einen Zweck: Sie sind tröstlich. Mag auch die revolutionäre Begeisterung gewichen sein, mögen Scheitern und Unzulänglichkeiten den einst abgeleisteten Alltag getrübt haben, satt sieht man sie jetzt in Form gebracht, leistbar scheint ab jetzt der Urgrund des Leidens, endlich ästhetisch gebändigt, endlich verfügbar – als Andachtsbild fürs Himmelbett.

Und der Rubens war so und so super: Wie der die Löwen hingebracht hat und auch die Ochsen. Wie der erst all die Wunder, egal ob Himmelfahrt, Verkündigung, Kreuzaufstellung, -abnahme oder Lanzenstich, erst beseelt hat, haptisch nachvollziehbar, speckig.

Alle Achtung. Den kennt man nicht umsonst, da braucht man nicht herum zu munkeln, dass und was die Leda mit dem Schwan ... Und pausbäckige Kinder konnte der zeichnen! Und Ehrendamen. Und auch weniger hübsche. Und dass die Ölskizzen erst jüngst wieder so geschätzt werden in ihrer ganzen Virtuosität, das hat der sich echt verdient. Denn, sagt Klaus Albrecht Schröder: "Am Anfang steht die Ölskizze." Gerade jetzt, wo Rubensjahr ist, ohne dass es irgend ein Jubiläum gäbe. Weil: "Der Kontinent Peter Paul Rubens ist noch lange nicht erschöpfend behandelt worden!"

Große Dramatiker

Und alle anderen machen auch Rubens: Das Metropolitan Museum zu New York zeigt gar erst 2005 die Zeichnungen der Wiener Schau. Und, wie im Vorfeld ausgiebigst berichtet, konnte das "gegenreformatorische Lehrstück" Daniel in der Löwengrube (das arme Bild musste stehend reisen, und im Flugzeug roch es auch noch nach Pferden) ebenso vom der Washingtoner National Gallery losgeeist werden wie der Liebesgarten aus dem Prado.

Um, sagt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder stolz: "Einen der größten Dramatiker des Barock und einen der wunderbarsten Erzähler der Gegenwart" zusammenzuführen. Zum Gipfel der Meisterschaft, zur Freude der guten Gesellschaft. Neo Rauch bemüht sich erst gar nicht, irgendwie manieriert auf seine Lehrer – allen voran Bernhard Heisig – zu reagieren.

Er wagt gleich den großen Schritt zum Kitsch, entfaltet, auf ein breites Zielpublikum zugeschnitten, ein zeitgemäßes Sammelsurium all dessen, was vor nicht all zu langer Zeit noch als Röhrender Hirsch oder Badende Frau die Wohnzimmer schmückte.

Und seit Ikea das Mobiliar für die Cubic-gegangene Bidermeieridylle liefert, ist er es, der den Arzt-Roman zu den Fleischbällchen schreibt. Und der Rubens ist sowieso erhaben, der war schon Hofmaler, als das mit der Ästhetik von oben noch ganz unumstritten war. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2004)