Wien - "Wenn Bush gewinnt, haben wir (Amerika, Anm.) keine Chance". Mit drastischen Worten beschrieb der ehemalige Clinton-Berater Robert O. Boorstin am Dienstag bei einem Vortrag in Wien die Bedeutung der bevorstehenden US-Präsidentenwahlen. Allerdings schätzt selbst der Demokrat die Wahrscheinlichkeit, dass sein Parteifreund John F. Kerry ins Weiße Haus einzieht, eher gering ein. Der Herausforderer habe sich bei entscheidenden Themen gegenüber Präsident George W. Bush nicht profilieren können und kämpfe zudem gegen den Amtsbonus des Republikaners. Im Falle der Wiederwahl Bushs befürchtet Boorstin negative Auswirkungen für sein Land.

Amerika sei vor der kommenden Präsidentschaftswahl "gespalten, unsicher und angsterfüllt". Ein geteiltes Amerika ortet Boorstin vor allem in ökonomischer Hinsicht. "Es gibt tatsächlich zwei Amerikas, eines der Reichen mit großzügigen Steuererleichterungen und einer funktionierenden Krankenversorgung und eines für den Rest". Das Gefühl der Unsicherheit sei vor allem deshalb entstanden, weil sich nicht absehen ließe, ob die Wirtschaft der USA Richtung Aufschwung oder Richtung Depression tendiere. Und schließlich würden die Nachwirkungen des 11. Septembers gemeinsam mit der unsicheren Lage im Irak für Angst bei den US-Bürgern sorgen. "Wir leben in einem Klima der Angst. Und das auch, weil die Regierung das betrieben hat", sagte Boorstin.

Im Augenblick sieht Boorstin den amtierenden Präsidenten im Rennen um das Weiße Haus voran. Es gehe aber in der jetzigen Phase weniger darum, wer ein paar Prozentpunkte weiter vorne läge. "Entscheidend ist, wer jetzt Rückenwind hat und diesen Eindruck auch in den Medien transportieren kann". Allerdings würde Kerry, was entscheidende Themen betrifft, zunehmend an Boden verlieren. In der Frage, wem die Amerikaner vertrauen, läge Bush bei 60 Prozent und Kerry lediglich bei 35 Prozent. Auch in den Bereichen Wirtschaft und Bildung gelänge es Kerry nicht zu überzeugen. Mittlerweile habe er eher ein negatives Image als ein positives. Der Herausforderer könne aber darauf hoffen, bei den noch Unentschlossenen und in einigen wichtigen Staaten zu punkten.

Warum Bush sich derzeit auf der Siegerstraße befinde, habe mehrere Gründe, erklärte Boorstin. Als amtierender Präsident habe Bush ganz andere Möglichkeiten als sein Kontrahent. "Ein großer Hurrikan trifft beispielsweise auf Florida. Bush setzt sich in seinen Helikopter, fliegt nach Florida und verteilt Millionen von Dollars an die Menschen dort. Die Medien müssen über alles berichten, was er sagt, denn schließlich ist er der Präsident". Bush könne in den verbleibenden zwei Monate noch sehr viel tun, um die Meinung der Wähler zu beeinflussen. Es bestehe damit ein großer Unterschied zwischen dem Bush von 2000 und dem heutigen Bush. "Bush Nummer eins würde alles sagen, um gewählt zu werden, Bush Nummer zwei würde alles tun, um gewählt zu werden."

Bush habe es darüber hinaus geschafft, Kerry als Person zu dikreditieren. Die Kampagne der Republikaner hätte Kerrys Versuche, sich als fähiger und entschlusskräftiger Oberbefehlshaber zu profilieren, wirksam unterbunden und ihn stattdessen als wankelmütigen Zauderer dargestellt. Zudem sei es Gruppen, die sich selbst als unabhängig bezeichnen, in Wahrheit aber dem Bush-Lager zuzurechnen seien, gelungen, Kerrys militärische Verdienste in Vietnam in Zweifel zu ziehen. Die Demokraten hätten nach Ansicht von Boorstin auf diese Angriff nicht schnell und effektiv genug reagiert.

Schließlich sei es Kerry nicht gelungen Kapital aus Bushs schlechter Bilanz als Präsident zu schlagen. Bush sei der erste Präsident seit 1933, in dessen Amtszeit mehr Jobs verloren gingen als geschaffen wurden. Die USA müssten zudem 90 Prozent der Kriegskosten im Irak tragen. Kerry habe jedoch keine Alternativen präsentiert, sondern habe sich vor klaren Aussagen gedrückt.

Wer letztlich gewinnen wird, hängt für Boorstin vor allem davon ab, welche Partei ihre Wähler besser mobilisieren kann. Im Falle der Wiederwahl Bushs befürchtet der ehemalige Clinton-Berater einen weiteren Anstieg des US-Haushaltsdefizits. "Irgendwann werde man aufwachen und feststellen, dass kein Geld mehr da ist" Die steigende Staatsschulden seien dann nicht nur eine Gefahr für die Stabilität der US-Wirtschaft, sondern würden die gesamte Weltwirtschaft beeinträchtigen. Auch die Beziehung zu den europäischen und asiatischen Staaten würde sich nach einem Wahlsieg Bushs nicht verbessern.(APA)