Aus den Mauern des Steinbruchs hallt noch immer das Echo der Schreie der Gefolterten", schreibt Bundespräsident Thomas Klestil in einer eleganten englischsprachigen Broschüre zum Projekt Mauthausen 2000.

Wie Recht er doch hat. Diesem überwältigenden Widerhall im Steinbruch "Wiener Graben" mit der 186-stufigen "Todesstiege" muss nichts mehr hinzugefügt werden. Vor allem kein Konzert, kein Auftritt der Wiener Philharmoniker, hier bedarf es keiner gestreiften Hosen und silbergrauen Krawatten - und keinerlei herausgeputzter Ehrengäste.

Alles, was diesen auf österreichischem Boden einzigartig brutalen Schlachthof zu einem Konzertsaal verändert, ist frivol und geschmacklos.

Wenn die Wiener Philharmoniker eine "Geste" setzen wollen, dann haben sie dafür einen wunderbaren Rahmen: Aus dem Goldenen Saal des Musikvereins überträgt man weltweit ein Benefizkonzert analog zum Neujahrskonzert. Vielleicht zugunsten noch lebender ehemals verfemter Musiker. Da hört sich Beethovens Ode an die Freude weniger peinlich an als dort, wo zwischen dem 8. August 1938 und dem 5. Mai 1945 von rund 195.000 KZ-Häftlingen aus ganz Europa mehr als 105.000 brutal ermordet wurden.

Mauthausen, Synonym für Tod durch Sklavenarbeit in den Steinbrüchen, ist kein Amphitheater zur Beruhigung und Erbauung der Nachgeborenen. Apropos, die heutigen Philharmoniker haben rein gar nichts mit ihren Kollegen aus den schlimmen 30er-Jahren gemein. Doch in der deutsch- und englischsprachigen Internet-Beschreibung ihres Orchesters vermisst man mutige Worte zur Vergangenheit: "1938 griff auf brutalste Weise die Politik ins philharmonische Geschehen ein: Die Nationalsozialisten entließen fristlos alle jüdischen Künstler aus dem Dienst der Staatsoper und lösten den Verein Wiener Philharmoniker auf."

Was hier angeblich geschah, klingt mehr nach einer "Naturkatastrophe". Kein Wort findet sich über die 40 Prozent "NS-Musiker-Parteigenossen". Auch die zur Entschuldigung viel zitierte "Vereinsauflösung" trieb die eifrig vor NS-Bonzen musizierenden Philharmoniker nicht in die Arbeitslose, denn die neuen Machthaber führten nur eine rechtliche Neukonstituierung des Orchesters durch.

Und weil beim Projekt Mauthausen 2000 so viel von Symbolik und Botschaften zu hören ist: Ebenso beschämend wie das ganze Spektakel ist schon allein der Name, den sich der organisatorische Dachverband (ÖGB, römisch-katholische Kirche, Lagergemeinschaft Mauthausen) erwählt hat: Der Verein, der sein Projekt stolz "als Symbol eines hoffnungsfrohen Aufbruchs in ein neues Jahrtausend und als Beitrag zu einem neuen Österreich-Bild" beschreibt, nennet sich Mauthausen aktiv.

Man fasst es nicht, dass alle Beteiligten diesen Klang von Mauthausen Aktiv nicht gehört haben. Meine amerikanischen Freunde fragten besorgt: "Is Mauthausen active again?"

Wie gefühl- und gedankenlos, wie stumpf und zynisch muss man sein, um dieses dynamische Eigenschaftswort hundertfach auf geduldiges Papier zu bannen?

Speiübel wird einem schließlich auch beim "künstlerischen" Konzepttext von Architekt Anton Falkeis und Professor Karlheinz Müller: "Wir haben gemeinsam ein einzigartiges räumliches, akustisches Konzept entworfen. Der Steinbruch wird durch gestalterische und elektroakustische Hilfsmittel in einen erfahrbaren virtuellen Klangraum verwandelt, der in Dynamik und Klangfarbe den musikalisch komplexen Ergebnissen gerecht wird." Mit einem Wort: Das Crescendo des philharmonischen Blechs wird das Schreien und Wehklagen der Misshandelten übertönen.

Aber es kommt noch subtiler: "Der Massivität der Steinbruchwände wird mit der Leichtigkeit einer Seilkonstruktion begegnet." Das ist wahrhaftig eine beispiellose Leichtigkeit, mit der hier über ein riesiges Massengrab die Klangwolke gebreitet werden soll. Über jene Todesstiege, die über 186 Stufen vom höher gelegenen Lager in den Steinbruch führte. Dorthin, wo Tausende Menschen täglich auf dem Weg ins Lager zusammenbrachen, von den Bewachern erschossen und von herab rollenden Steinen erschlagen wurden. Über die steilen Felswände neben der Todesstiege wurden Häftlinge von den SS-Schergen wahllos hinabgestoßen. Der zynische Spitzname dafür: "Fallschirmspringerwand".

Im "Wiener Graben" schufteten täglich durchschnittlich 2000 Menschen, ab 1943 befand sich dort zusätzlich der Messerschmitt-AG-Rüstungsbetrieb in eigens dafür errichteten Hallen.

Gerne hätte ich gewusst, ob die aktiven Initiatoren dieses Konzertes, die Familien der Ermordeten, jene Tausende Väter, Mütter, Kinder und Anverwandte in Albanien, Polen, Ungarn, Russland, Norwegen, Italien, Spanien und anderswo gefragt haben, ob sie mit der musikalischen Trampelei auf ihren Toten einverstanden sind?

Es geht nicht um die Auswahl der Politiker und Politikerinnen, die zum "Event" kommen dürfen oder nicht. Es geht auch nicht um die Geldspende der Voest-Linz, die zwar jahrzehntelang keine Kompensation an ihre ehemaligen Zwangsarbeiter gezahlt hat, sich hier aber ein wenig "abputzen" kann. Es geht um die Schändung der Erinnerung an Abertausende Menschenleben.

Am 7. Mai soll man in Würde gedenken, wie seit vielen Jahren, aber bitte ohne Abendkonzert mit Limousinenauffahrt.

Zwischen den Steinen voll Angstschweiß und Blut hängt noch das Echo des Grauens. Für den, der hören will, ist es monumental genug.

Marta S. Halpert, Journalistin in Wien, leitet das Büro der Anti-Defamation League.

Am kommenden Montag wird das Projekt "Mauthausen 2000" in einer Pressekonferenz vorgestellt; wir haben die Veranstalter eingeladen, die Frage der Ästhetik des Gedenkens aus ihrer Perspektive zu kommentieren.