Wien - Gustav Mahlers dritte Symphonie ist überraschenderweise zur Walstatt der von Wiens großen Konzertveranstaltern angeheuerten Orchestermannschaften geworden: Eröffnete das Konzerthaus vergangenen Samstag seine neue Saison mit Mahlers symphonischem Schöpfungsepos in der konzisen Wiedergabe des Zürcher Opernorchesters unter Iván Fischer, wollte sich auch der Musikverein nicht lumpen lassen und sandte am zweiten Abend seines Konzertherbstes das Bayerische Staatsorchester unter Zubin Mehta mit demselben Werk auf das Podium seines Goldenen Saales.

Der kurze Abstand zwischen diesen beiden Aufführungen verleitet zum Vergleich. Und bei einem solchen, zählt man im dürren statistischen Sinn ausschließlich die falschen Töne und die unscharfen Einsätze, schneidet die Schweizer Formation im Konzerthaus besser ab.

Während der Aufführung durch die Münchner wurde man hingegen in wohltuender Deutlichkeit daran erinnert, dass die Musik nicht nur in den Noten liegt, sondern vielmehr zwischen und hinter diesen. Frei nach Eichendorffs Vierzeiler: "Schläft ein Lied in allen Dingen,/die da träumen fort und fort./Und die Welt hebt an zu singen,/triffst du nur das Zauberwort."

Bewegende Momente

Das sind dann die bewegenden Augenblicke, in denen eine Interpretation in die Bereiche des Metamusikalischen, nur noch Empfind-, aber nicht mehr Formulierbaren vorstößt. Dazu bedarf es vor allem eines Dirigenten von der auratischen, mentalen und auch physischen Kraft eines Zubin Mehta.

Voraussetzung für diese sich über alle Alltäglichkeit schwingende Wiedergabe ist zunächst einmal Mehtas enormes Merkvermögen, das ihn - ähnlich wie einst Herbert von Karajan - auswendig dirigieren lässt.

Diese souveräne Sicherheit könnte man als das ruhige Auge des emotionalen Taifuns bezeichnen, in dessen Sturm auch einmal der eine oder andere (Post-)Hornton danebengehen und mancher Einsatz leicht verwirren konnte.

Was wiegen derlei kleine Unebenheiten oder dass Marjana Lipovsek das Trunkene Lied nicht ganz so intensiv wie erwartet sang und die auf der Orgelempore postierten Sängerknaben schlechter zu hören waren als die rechts hinten auf das Podium gepferchten Damen des Wiener Singvereins, allein gegen das in vorbildlicher dynamischer Zucht gebändigte Finale dieser bewegenden Wiedergabe. (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.9.2004)