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Israels Premier (li.) empfängt Wladimir Putin in Jerusalem: Der lange Arm Sharons reicht für den Austausch diplomatischer Höflichkeiten, aber nicht bis in den Kreml.

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Bush und Putin brauchen für ihre Politik nicht die Einflüsterungen der Weisen von Zion. Eine Replik auf Naomi Kleins These von der Globalisierung der "Likud-Doktrin".

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Naomi Klein hat in ihrer letzten Kolumne eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: "Die Likudisierung der Welt" (STANDARD, 13. 9.). Womit sie gewiss nicht meine, versichert uns die Autorin, dass zentrale Personen in der Bush-Regierung auf Kosten der USA für Israels Interessen arbeiten. Sie sehe aber, wie die Position des Likud zunächst nach dem 11. September 2001 in den USA Fuß gefasst habe und mittlerweile auch Putin in ihren Bann ziehe. O-Ton Klein: "Die Likudisierung hat nun auch auf Russland übergegriffen."

Ob Klein die letzten Jahre in Tschetschenien einfach verschlafen hat? War es wirklich erst der Likud, der Putin von einem härteren Vorgehen gegen die Tschetschenen überzeugte? War Putin bisher ein sanfter Pazifist, der leider Sharon und Netanjahu verfallen ist?

Ich wundere mich über Kleins Gedankengang, wenn ich bedenke, wie Putin in den letzten Jahren in Tschetschenien fuhrwerken ließ. Seit den Neunzigerjahren wird Krieg gegen das tschetschenische Volk geführt. Jelena Bonner warf den russischen Generälen vor, einen großen Teil der tschetschenischen Nation auszulöschen. Sie sprach von Völkermord. Daniel Cohn-Bendit meinte, ein Volk werde massakriert. Expräsident Václav Havel nannte das russische Vorgehen im Kaukasus das "Abschlachten einer Nation".

Allein bei den Massenbombardements tschetschenischer Städte sollen nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker 4772 Menschen ungekommen sein. Human Right Watch spricht von 4000 Toten allein in Grosny. Unzählige sollen in den letzten Jahren getötet, Hunderttausende vertrieben worden sein.

Gegen die Ideologie und Praxis des Likud lässt sich viel einwenden und muss politisch Stellung bezogen werden, aber das Ausmaß der Massenmorde an tschetschenischen Menschen, die Unterdrückung aller unabhängigen Kritiker in Russland, lässt sich nicht dem gleichsetzen, was in Israel und Palästina geschieht, geschweige denn als Abklatsch der Jerusalemer Politik beschreiben.

Zweifellos gibt es recht putzige Allianzen zwischen Staatsmännern, die chauvinistisch und militaristisch sind, ob sie in Washington, Moskau oder Jerusalem sitzen. Wenn es ihren Interessen gerade dient und ein gemeinsamer Feind sie eint, küssen und herzen sie einander, als wäre es schiere Sympathie, die sie zusammenfügt. Gewiss reden sie sich auch gerne aufeinander aus, weisen darauf hin, dass auch anderswo nicht mild mit Terroristen umgegangen wird. Aber Putin brauchte nicht den Likud, um auf die Idee zu kommen, gegen tschetschenische Terroristen vorzugehen.

Wahr ist: Der Likud versucht auszunutzen, dass Washington und Moskau nun ebenfalls von islamistischen Attentaten heimgesucht wird. Benjamin Netanjahu fuhr nach dem 11. September 2001 in die USA, um den Experten für Terrorismus zu geben. Ariel Sharon sichert Putin seine Unterstützung zu, und in Israel, welch Wunder, schwappt eine Welle des Mitgefühls für Russland durchs Land, da viele sich angesichts der Schreckensbilder aus der Schule von Beslan an die Attentate im eigenen Land erinnert fühlen.

Verschwörungslogik

Glaubt Klein, Putin sei zum Rechtszionisten mutiert? Wieso redet sie von "Likudisten im Weißen Haus"? Denkt sie etwa, der Likud wäre neokonservativ oder die Neocons bestünden bloß aus zionistischen Juden, die von einer nationalen Heimkehr ins Gelobte Land träumen?

Ist es so schwer zu begreifen, dass chauvinistische und militaristische Politiker auf der ganzen Welt furchtbar gerne mit Härte gegen Terrorismus vorgehen? Und zwar nicht, weil solche wie Bush und Putin dem Likud nahe stünden und den Einflüsterungen der Weisen und weniger Weisen von Zion erlägen, sondern weil sie seit jeher vor allem auf die Macht der Waffen und die Waffe der Macht bauen?

Wer von der "Likudisierung der Welt" spricht, stärkt jene Verschwörungstheorien, die seit dem 11. September in allzu vielen Köpfen grassieren. Klein verfällt dabei genau jener Ideologie, die sie kritisiert, denn es sind ja Sharon, Putin und Bush, die von den Unterschieden im jeweiligen Konflikt nicht reden und uns glauben machen wollen, überall, ob in Israel, im Kaukasus oder im Irak, werde derselbe Kampf geführt.

Simplifizierung

Auch Klein liebt, wie es scheint, globale Erklärungsmodelle. Der Fundamentalismus, meint sie, wachse in jenen Staaten, "wo der Krieg systematisch die zivile Infrastruktur zerstört hat und dadurch die Moscheen ihren Einfluss auf immer weitere Bereiche ausdehnen können - von der Erziehung bis zur Müllabfuhr." Ist das wirklich so? Wieso gedieh und gedeiht dann der Islamismus in Ländern wie Saudi-Arabien, dem Iran oder Algerien?

Der radikale Islamismus ist eine totalitäre Ideologie und ein vielfältiges Phänomen von Gesellschaften im Umbruch, die sich den Verlockungen des Westens nicht entziehen und dessen Ansprüchen nicht nachkommen können, die Segnungen des Fortschritts ersehnen, doch die feudalen Strukturen, die Privilegien der Oligarchien und die Vormacht des Patriarchats nicht gefährden wollen.

Der größte Erfolg des Islamismus besteht darin, die sozialen Konflikte nicht anzusprechen, sondern zu verhüllen. So vereint er die unterschiedlichsten Interessen und Schichten, die Söhne reicher Familien und die Kinder der Elendsviertel.

Zu einfach ist aber wohl, in der Likud-Doktrin, was immer das sein soll, die Ursache von Terrorismus oder die Rettung vor dem Islamismus zu sehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2004)