Grafik: margules
Die Parteikonvente sind vorbei, die Kandidaten George Bush und John Kerry offiziell nominiert, und noch rund sechs Wochen bleiben, bis der Präsident erkoren ist. In Umfragen liegt der Amtsinhaber leicht vor dem Herausforderer, doch das Rennen ist alles andere als entschieden. Entgegen früheren Vermutungen sind es nicht der Zustand der Wirtschaft oder die Lage im Irak, die den Wahlkampf dominieren, sondern die vor allem aus europäischer Sicht eher abstrakte Frage, welcher der Kandidaten den besseren Commander in Chief, den besseren Oberbefehlshaber der Nation im Krieg, abgibt.

Für die Bevölkerung – und für die Anlegerschaft – weitaus wichtiger sind indes die Vorschläge in der Innen- und Wirtschaftspolitik, mit denen Bush und Kerry die Gunst der Wähler suchen. Zu diesen Themen lässt sich aus einem Schwall von Wahlkampfrhetorik – im Wissen, dass Versprechen und Realität oft auseinanderdriften – Bushs Programm "Eigentümergesellschaft" gegen Kerrys Programm "Clinton-Revival" herausdestillieren.

Statistik spricht eher für Demokraten

Wer ist denn nun besser für die Börse - Bush oder Kerry? Die Vermutung, dass republikanische Präsidenten besser ankommen als demokratische, läßt sich kaum erhärten. Beide Parteien teilten sich in der Vergangenheit Hausse- und Baissephasen an der Wall Street (siehe Grafik). So startete der Bullenmarkt der Jahre 1950 bis 1966 unter dem Demokraten Truman. Von 1953 bis 1960 regierte dann der Konservative Eisenhower. Dann hielten wieder die Demokraten Kennedy und Johnson Einzug. Durch die Phase der Stagnation und Inflation in den Jahren 1966 bis 1982 lenkten Nixon und Carter. Und das anschließende Börsenglück bis ins Jahr 2000 wurde sowohl von Reagan und Bush senior als auch von Clinton genährt. Der Wettstreit zwischen Bush und Kerry dürfte die Märkte deshalb nur dann bewegen, wenn der Wahlausgang den langfristigen Ausblick auf die Kapitalmärkte verändert.

Zwei entscheidende Fragen

Internationale Anleger achten vor allem auf den Umgang mit dem Haushaltsdefizit. Diesbezüglich gibt es zwei, auch für den Ausgang der Wahl nicht unerhebliche essentielle Fragen.

Erstens: Welche Partei wird das Haushaltsdefizit - 520 Milliarden Dollar sollen es in diesem Jahr sein - schneller und entschlossener eindämmen?

Zweitens: Wer wird die Kapitaleinkünfte der Amerikaner freundlicher behandeln?

Das Defizit ist entscheidend, weil es großen Einfluss auf die Zinsen der Staatsanleihen hat. Je sparsamer der neue Präsident, desto weniger ist Notenbankchef Alan Greenspan gezwungen, die Zinsen über einen langen Zeitraum kräftig anzuziehen. Zudem würden kleinere Defizite volkswirtschaftliche Ersparnisse für private Investitionen freisetzen. Welcher Kandidat in dieser Hinsicht vielversprechender ist? Schwer zu sagen. Wenig überraschend geloben beide Kandidaten, das Budgetdefizit zu halbieren. Beobachter trauen Kerry hier im Zweifel mehr Biss zu. Immerhin wollen die Demokraten zumindest einen Teil der Bush'schen Steuergeschenke wieder zurücknehmen. Was die zweite Frage angeht, ist es umgekehrt: Bush würde die Besitzer von Kapitaleinkommen wohl freundlicher behandeln als Kerry.

In jedem Fall kein leichtes Heimspiel...

Stellt sich ein US-Präsident zur Wiederwahl, genießt er gegenüber den Rivalen so viele Vorteile, dass er meistens gewinnt. In über 30 Jahren haben Amtsinhaber nur zweimal verloren: 1980 Jimmy Carter und 1992 George H.W. Bush, der Vater des jetzigen Präsidenten. Ob auch Bush Jr. das Weiße Haus nach einer Amtszeit räumen muss, ist offen. Viele Wähler haben noch nicht entschieden, für wen sie im November stimmen.

Eines scheint aber jetzt schon klar: vor allem die gigantische Verschuldung in der Ära Bush Junior und die damit unabdingbare Sanierung dieser Schieflage dürfte sich sowohl für (je)den kommenden US-Präsidenten wie auch für die US-Wirtschaft zu einer beachtlichen Hürde ab dem Jahr 2005 entwickeln – und dies verheißt zumindest für Wallstreet nichts Gutes!