Frankfurt/Main - Nach dem Einzug der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) und DVU (Deutsche Volksunion) in die Landtage der ostdeutschen Bundesländer Sachsen und Brandenburg haben Parteienforscher vor einem bundesweiten Erstarken der Rechtsextremisten gewarnt. Der Mainzer Politologe Jürgen Falter sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen", wenn es nicht irgendeine Form von Wirtschaftswunder Ost gebe, werde das rechtsextremistische Potenzial in der Gesellschaft ausgeschöpft. Unter normalen Umständen liege dieses Potenzial bei 15 Prozent, sagte Falter.

Der deutschen Innenminister Otto Schily äußerte sich in derselben Sendung sehr besorgt über das Abrutschen der SPD in Sachsen auf das gleiche Stimmen-Ergebnis wie die NPD. Dies sei ein Grund, "an der Vernunft mancher Menschen zu zweifeln", sagte der SPD-Politiker. Er glaube allerdings nicht, dass die Wähler der NPD Faschisten seien, sondern Protestwähler. Schily sagte, jetzt seien negative Folgen für ausländische Investitionen zu befürchten. Gleichzeitig erneuerte er seine Kritik am Bundesverfassungsgericht, das ein Verbot der NPD abgelehnt hatte.

Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann sagte im Bayerischen Rundfunk, der Einzug der NPD in den sächsischen Landtag sei "kein Strohfeuer". Allerdings warnte Holtmann, der Professor an der Universität Halle ist, vor einer Dramatisierung der Wahlergebnisse. "Es gibt keinen Rückfall in Weimarer Verhältnisse", sagte er. An einen ähnlichen Erfolg rechter Parteien in den alten Bundesländern glaube er nicht. Die Präsenz der demokratischen Parteien sei eine große Barriere. Ein Wiederholungseffekt im gleichen Maße sei nicht zu erwarten.

Der Berliner Politologe Hans Gerd Jaschke diagnostizierte im MDR "bedenkliche Erosionstendenzen, die für die Demokratie als ganzes bedenklich sind". Die These der Protestwähler führe in die Irre, sagte Jaschke laut einer Vorabmeldung der Sendung "Fakt", die am Montagabend ausgestrahlt werden sollte. Dagegen seien die großen Parteien nicht mehr bindungsfähig gegenüber dem rechtsextremen Wählerpotenzial. Die rechten Parteien hätten dieses Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft. Der Berliner Soziologe Richard Stöss bezeichnete in derselben Sendung die hohen Umfragewerte von bis zu 50 Prozent systemunzufriedener Menschen als "außerordentlich bedrohlich für die demokratische Kultur".

Die Wirtschaft rief die demokratischen Parteien zu gemeinsamem Handeln gegen das Erstarken der Rechtsextremisten auf. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, sagte der Chemnitzer "Freien Presse", angesichts des Einzugs von NPD und DVU in die Landesparlamente von Sachsen und Brandenburg sei eine derartige Koalition der Vernunft unerlässlich. Ansonsten drohten eine Verunsicherung der Wirtschaft und damit eine Zurückhaltung der in- und ausländischen Investoren in den beiden ostdeutschen Bundesländern. Deutschland brauche Reformen und "Politiker, die sie ohne Wenn und Aber vertreten", appellierte Braun an die Parteien. (APA/AP)