Der Wirbel rund um die "patriotische Parallelaktion" Austrokoffer zeigt, dass der Patriotismus hierzulande ins Zwielicht geraten ist. Die einen propagieren ihn mit großem Eifer und finden bei einem Teil der Bevölkerung Resonanz. Den anderen - darunter auch mir - geht das patriotische Getue auf die Nerven, und auch sie können auf Gleichgesinnte unter ihren Landsleuten verweisen. Was ist da los?

Warum hat ein Begriff, der einst so selbstverständlich schien wie die Adresse im Telefonbuch, plötzlich einen fatalen ideologischen Beigeschmack? Brauchen wir vielleicht einen neuen, anderen Patriotismus? Oder eher gar keinen?

Dass Patriotismus und Heimat auf einmal so "angesagt" sind, hat, wie mir scheint, nicht nur mit der jetzigen Regierung zu tun. Es ist auch eine Antwort auf das weit verbreitete Unbehagen an Europäisierung und Globalisierung und die Angst vieler, das Eigene, Kleine, könnte sich, wie es der tschechische Präsident Václav Klaus einmal ausdrückte, im Fremden, Größeren, auflösen "wie der Zucker im Kaffee". Deshalb kämpfte die Kronen Zeitung für "Marmelade" statt "Konfitüre", propagierte "Stolz auf Österreich", und selbst Autoren, die jetzt gegen den Austrokoffer sind, traten (in meinen Augen etwas übertrieben) für "österreichisch" als eigene Sprache ein.

Aber was ist "österreichisch"? Wenn man nach dem Image geht, das etwa der ORF verbreitet, vor allem ländlich-alpin. Das "Klingende Österreich" ist ein Land der Berge, bevölkert von tief in der Scholle verwurzelten, garantiert einheimischen "echten Österreichern". Das Großstädtische scheint in diesem Bild ebenso wenig Platz zu haben wie das Zuwandererelement. In einem kleinen Land mit einer relativ großen Hauptstadt, in dem jeder zehnte Bewohner Ausländer ist und mindestens doppelt so viele im Ausland geboren sind, ist es kein Wunder, dass sich so mancher in dieser Art "Heimat" nicht recht zu Hause fühlt. "Zu viel Scholle" konstatierte schon Joseph Roth nach 1918 und meinte das Selbstverständnis des klein gewordenen Österreich.

Aber seither hat die Heimatliebe noch einmal ihre Unschuld verloren. Die Nazis stellten das "Vaterland" über alles, wer das nicht mitmachen wollte, war ein Verräter. Das Heimische war wie selbstverständlich das Gute, das Fremde das Schlechte. "Vaterland" sagt denn auch heute niemand mehr, man zieht das harmlosere und gefühligere Wort "Heimat" vor. So weit, so gut - aber das allzu auftrumpfende Herumreiten auf dem Österreichischen hat dennoch etwas Peinliches. Es riecht nach Minderwertigkeitskomplex. Ist ja gut, möchte man den Superpatrioten in Medien und Regierung zurufen, regt euch nicht auf, wir mögen Österreich eh, es lebt sich gut hier, die Landschaft ist schön, viele Menschen sind sympathisch und tüchtig - aber müssen wir deshalb gleich "stolz auf Österreich" sein? Müssen wir uns, auch wenn es bei uns begabte Künstler gibt, gleich als "kulturelle Großmacht" wichtig (und lächerlich) machen?

Etwas mehr Gelassenheit wünsche ich mir, nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehenden Jubelfeiern zu Staatsvertrag und Befreiung. Etwas mehr Großzügigkeit und etwas mehr Weite, wenn es um die Definition des Österreichischen geht. Etwas mehr Toleranz, wenn sich der eine oder andere partiell auch anderswo daheim fühlt.

Wenn es etwas im guten Sinne typisch Österreichisches gibt, dann ist es ein gewisses Understatement. Auch die Heimatskeptiker empfinden etwas für den Ort, an dem sie zu Hause sind, keine Sorge. Aber man muss die rot-weiß-rote Fahne schließlich nicht ständig vor sich hertragen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2004)